Auszüge aus den ‹Acta Ecclesiae Margarethanae›

Bemühungen um einen geregelten christlichen Lebenswandel

«Nicht ohne grosse Furcht und Besorgnis und nur im Vertrauen auf den, der auch in den Schwachen mächtig sein will, trat ich den Dienst an dieser schwierigen Gemeinde an, wovon sicher die Hälfte der Bevölkerung flottent und aus den niedersten Schichten des Volkes aus allen Gegenden wegen der Nähe der Stadt zusammengeflossen ist. In religiöser Beziehung traf ich den grössten Teil dieser Hälfte in traurigen Zuständen des Unglaubens , der Verstocktheit und Gleichgültigkeit; dagegen traf ich unter den Bürgern mehr als ich unter solchen Umständen erwarten durfte christliches Leben an, das besonders von Basel aus genährt wird. […]

Im Jahr 1854 trug sich wenig besonders Merkwürdiges zu. Es war auch dieses wieder ein mageres Jahr, ohne dass die Menschen sich wollten demütigen lassen. Vielmehr zeigte sich viel Trotz und eine innere Empörung gegen den Gedanken, dass dies eine Strafe Gottes sei. Ich machte die Leute oft aufmerksam, dass sie eben doch gestraft seien, sie möchten dazu sagen, was sie wollten, und dass es mir darauf ankomme, das, was man als eine Strafe fühle, auch als eine Strafe Gottes anzuerkennen und nicht mit seiner Gerechtigkeit zu hadern und zu fragen: warum werden wir so gestraft und andere nicht –, sondern sich demütig und zur Busse bereit zeigen lassen. Die hätten wir doch gewiss notwendig. Doch liess es der Herr bei allen Demütigungen nicht an Segen und treuer Durchhilfe fehlen. […]»

Konfirmandenunterricht

«Bald nach Antritt des Amtes begann ich den Konfirmandenunterricht. Auch hier gab‘s neue Kämpfe. Mein Vorgänger hatte, gegen unsere kirchliche Weisung, nach welcher die Knaben im 16., die Mädchen im 15. Jahre konfirmiert werden, welche schon im 14. Jahre genommen, und das gefiel den Leuten, weil sie umso früher ihre Kinder zum Geldverdienen gebrauchen konnten. Ich bestand aber, allen Bitten und selbst Drohungen mit Wegstimmung gegenüber auf der Weisung der Kirche, und die h. Kirchendirektion von Liestal billigte nicht nur mein Vorgehen, sondern befahl auch, dass es also sollte gehalten werden. Von circa 25 Gemeldeten konnten nur zehn aufgenommen werden. […]

Mit Beginn des Winters [1853] führte ich die wöchentlichen Betstunden ein, die in Bottmingen zahlreich, oft von 30 Personen, in Binningen spärlich besucht sind. […]»

Kirchenbesuch

«Der Kirchenbesuch ist zur Sommerzeit gut und die Kirche gesteckt voll und auch oft der Kirchhof, heisst das bei schönem Wetter. Daraus lässt sich aber für die Kirchlichkeit der Gemeinde wenig schliessen, weil ein grosser Teil der Kirchbesucher von Basel kommt. Im Gegenteil ist zu beklagen, dass bei ein wenig ungünstigerem Wetter so viele aus Bequemlichkeit oder Leichtsinn die Kirche versäumen, und zumal im Winter dieselbe oft halb leer ist. Auch ist es betrübend, dass besonders die jüngern Männer unkirchlich werden und den Tag des Herrn entheiligen. Da steht man spät auf, glunkt in den schmutzigen Werktagskleidern herum, plaudert unnützes Zeug in der Barbierstube, trinkt gar auf dem Heimweg noch einen Schoppen oder schwatzt, wenn da und dort zum Fenster hinaus ein guter Freund winkt. Und ist man angezogen, so ist das Essen bereit, und nachher geht‘s an die Gemeinde, übers Feld oder am Abend ins Wirtshaus. Zwar sind viele jüngere Leute und Ehemänner fleissige Kirchgänger und feiern demgemäss sonst den Tag des Herrn. Aber einem meist grössern Teile kommt dieses Lob nicht zu.

Auch die, so die Kirche besuchen, kennen nicht den Anstand, der dem Haus des Herrn gebührt. Mit der rauchenden Pfeife wandern sie bis unter die Kirchtüre, als ob‘s an eine Gemeinde oder zu einem Schützenfest ginge; wenn‘s oft lange schon verläutet hat, kommen noch viele hintendrein. Bevor der Segen gesprochen ist, wandern andere fort; bis der Gesang beginnt, ist Geräusch und oft lautes Geschwätz. Doch sind sie ruhig und ganz aufmerksam während des Gebets und der Predigt, also dass man nur des Pfarrers Stimme hört. Den ungeschlachten, breit hinliegenden Kopf aufstützen und Schnaufen kommt hier nicht vor, wie an vielen anderen Orten auf dem Lande. Auch sind sie auf dem Kirchweg still und sittsam.

Schlimm steht es mit einem grossen Teil der Einsassen, der das Haus des Herrn gar nie besucht, ja nicht einmal den Pfarrer der Gemeinde kennt, während wieder Einzelne derselben mit sehr gutem Beispiel den Bürgern vorangehen, was das kirchliche Leben anbelangt. Die Kinderlehren werden oft auch von ziemlich viel Erwachsenen weiblichen Geschlechtes und einigen Mannspersonen besucht. Mit den Kindern hat’s oft grosse Not und muss ich beständig eine Zahl von Knaben förmlich zum Kinderlehrbesuch mit Strafen zwingen, was ich sehr ungern tue. Das beste Gegenmittel scheint mir, wenn der Pfarrer sich ins Haus der Eltern dieser Kinder begibt und mit Ernst und Liebe nach Gründen fragt. Ein Vorwurf liegt immer darin für die Eltern und aus gewisser Scham fangen sie dann doch an, über den Kinderlehrbesuch der Kinder zu wachen, denn so gleichgültig, unsittlich und ungläubig auch viele sind, den Schein wollen sie doch nicht haben, dass sie ihre Kinder irreligiös erziehen. Sie, die Alten seien zu gescheit, um zu glauben, aber die Kinder müssten halt in der Religion erzogen werden, sonst sei nichts mit ihnen anzufangen. Ein anderer sagte mir ganz ungeniert, als ich auf Mängel aufmerksam machte: «Ja, an uns alten Eseln ist Hopfen und Malz verloren, aber Religion für die Kinder, das respektiere ich, das muss sein.» Die armen Leute! Was den Kindern Not tut, tut es nicht noch mehr Not den Alten? Wenn die Alten ohne Glauben sind, wie wollen sie Glauben und Tugend pflanzen bei den Kindern? Und soll die Kirche alles gut machen können in ein paar Stunden, was das Haus in der ganzen Woche verdirbt? […]»

Abendmahl und Krankenkommunion

«Was die Teilnehmer am Genuss des h. Nachtmahls betrifft, so beträgt die Zahl der Kommunikanten an den hohen Festtagen bei 200 und darüber, an andern (Palmsonntag, Verenentag etc.) nur etwa 100. Die Feier desselben ist immer würdig und feierlich; möchten die Geniessenden auch immer Würdige sein! An der Vorbereitungspredigt nehmen nie alle teil, die zum h. Nachtmahl kommen; viele besuchen dieselbe in Basel, weil sie dort arbeiten. – Die Privat- und besonders die Krankenkommunion ist nichts Seltenes. Leider wird mit der letzten viel Missbrauch getrieben, dem man nicht einmal immer entgegentreten kann, weil man ihn oft erst nachher erfährt und weil mit der Wahrheit der Irrtum so eng verbunden ist, dass man Gefahr läuft, das Kind mit dem Bade auszuschütten. Der Frau N. hatte [ich] auf ihr und der Ihrigen Verlangen das h. Nachtmahl gereicht. Ich hatte die Bedeutung desselben dargelegt und gesagt, dass es eine Speise und Trank des ew. Lebens nur dem sei, der nach Vergebung und Friede u. Busse verlange. Die Frau stirbt und nachher höre ich, dass das Nachtmahl, wie sie vermutet hätten, entschieden habe (ob das Leben oder der Tod), indem die Mutter bald darauf gestorben sei. Bei schweren Leiden muss Taufe und Abendmahl fast wie eine magische Medizin herhalten, um eine Entscheidung hervorzurufen, wie man auch gegen diesen Gebrauch protestieren mag. Und das zwar meistens gerade bei denen, die sich um die Religion am wenigsten in guten Tagen kümmern.

Bei tieferen Gemütern, denen ein oft tiefer Grad von Glauben nicht abzusprechen ist, hat doch das h. Abendmahl noch zu sehr die Bedeutung eines opus operatum. Ich höre fast bei allen Krankenkommunionen beim Danken dafür die Äusserung: Es ist jetzt gut, er ist jetzt doch versorgt mit dem Wichtigsten, mit Speise und Trank des ewigen Lebens. So schön es ist, und so sehr solche Äusserungen einem freuen können, so entgeht mir doch nicht, wie sehr der Genuss oft auf Kosten des weiteren Busskampfes und des bis zum Ende ringenden Glaubens geschieht. Der Genuss an und für sich (wenn auch der würdige, insofern als er mit Verlangen nach Frieden der Seele kommt) soll die Seligkeit schmücken und nicht die Gnade, dass man in ernster Busse u. im Glauben die Zeichen und Pfänder der Erlösung empfangen darf. – Es ist noch gar viel Katholizismus in den Köpfen und Herzen und nicht selten kam mir eine Krankenkommunion nicht anders vor als eine letzte Ölung, obgleich ich’s nicht entscheiden konnte und dem Gewissen der Kranken überlassen musste. Ja, ich begegnete oft dem Ansinnen des mutlosen Kranken in der Todesstunde Brot und Wein wenigstens in den Mund zu legen, um ihm gleichsam solchergestalt ein Vertrauen zu geben, was dann Anlass gibt alles Ernstes, die Heiligkeit des Mutes und die Notwendigkeit zeitiger Busse ans Herz zu legen. Die Sekte der Irvingianer sucht in diesem Jahr (1854) auch in unserer Gemeinde Proseliten zu machen und ihre Apostel und Evangelisten gehen hin und her in den Häusern und nehmen die Weiblein gefangen und die Männer dazu. Es sind schon mehrere Familien zu ihnen übergetreten, z. T. recht brave und schickliche Leute, z. T. auch geringerer Sorte. Jene fühlten sich angesprochen durch die bei jener Sekte in den Vordergrund tretenden äussere Kirchlichkeit und kirchliche Gemeinschaft der Glieder, welche unserer Kirche leider allerdings viel zu viel fehlt, und hatten nebenbei Hoffnung, besondere Geistesgaben zu empfangen, wie sie eben jene Sekte zu besitzen vorgibt als die «reine apostolische Kirche»; diese hofften Unterstützung in Zeiten der Not. Schaden brachte ihnen der traurige Zustand eines ihrer eifrigsten Anhänger, des Fünfschilling, eines sonst grundbraven Mannes, dessen ehrliches Gemüt bei diesem Scheinwerk verzweifeln musste und der als geisteszerrüttet in die Irrenanstalt musste getan werden, nachdem seine neuen geistlichen Väter, als er in seiner Not bei ihnen Hülfe suchte, ihn hatten stehen lassen und, um sich zu helfen, die Schuld seines Zustandes auf ihn geschoben, weil er den Teufel zwischen sich und ihr Werk habe kommen lassen. Ich besuchte den armen Mann oft und viel und er hat mich gern. Er hatte gemäss der Weissagung eines Propheten auf einen bestimmten Tag eine besondere Geistesgabe zu empfangen erwartet (die Gabe der Weissagung?). Sie traf aber nicht ein, und weil sie nicht eintraf, glaubte er sich durch irgend etwas versündiget und den Zorn Gottes auf sich geladen zu haben, sodass er nicht mehr selig werden könnte. Da mit dem geistlichen auch körperliches Leiden verbunden ist (Unterleibsbeschwerden), so ist Hoffnung, dass ihm noch im Spital mit Gottes Hülfe könne geholfen werden. Sein Zustand ist sehr traurig, er verzagt an der Gnade Gottes und sucht die Hilfe bei Menschen. Nach zehnwöchentlichem Aufenthalt im Spital zu Basel kommt obiger wieder gesund und auch geistl. geheilt nach Hause. Er ist wieder der alte treue Familienvater und recht fleissiges und tugendhaftes Glied unserer Gemeinde, der nie die Kirche versäumte. Der Herr hat mit diesem Exempel besser geholfen, als ich mit allem Eifern hätte tun können. Die Sekte hat in unserer Gemeinde einen gewaltigen Schlag erlitten und hält nur noch drei Familien.»