Carl Mory

Mory-Thommen, Johann Carl, (1832–1889), aus wenig begüterter Binninger Familie. Wurde am 29.5.1847 durch Jonas Breitenstein in die Verbindung ‹Rauracia› eingeführt und war auch dessen Couleurbruder in der ‹Neuzofingia› bzw. ab 1850 in der ‹Helvetia›. Zunächst Student der klassischen Philologie in Basel, wechselte er 1851 ins Theologiestudium und studierte in Basel und Göttingen bis zum cand. theol. Er ging 1855 nach Zürich und wirkte kurzzeitig als Vikar in Greifensee. Zeitweilig Hauslehrer in La Sarraz, erwarb Mory später das Lehrerpatent und unterrichtete 1858–89 als Bezirkslehrer in Waldenburg. Er verfasste auch die erste Heimatkunde von Waldenburg.

Das Schicksal Carl Morys ist ein stets wiederkehrendes Thema in der Korrespondenz seiner Freunde. Aus seinen eigenen Briefen und aus den Berichten von Freunden wird ersichtlich, dass Mory wohl auch unter dem Einfluss von Breitenstein, von der Philologie zur Theologie wechselte und sich vom ‹Ungläubigen› zum Pietisten entwickelte. Neben ständigen finanziellen Problemen plagten ihn grosse Sorgen hinsichtlich des Erfolgs seines Studiums und seiner beruflichen Aussichten.

Basel den 17 Dec [1851]

Mein lieber Freund,

Ich habe Dir schon lang nichts mehr Neues gesagt nicht wahr? Nun, es wird Alles, ja die Welt kehrt sich manchmal um, damit es etwas Neues giebt, wenigstens die Welt im Menschen. Sehen wir zu, wo das hinaus will, Du denkst wahrscheinlich, ich sitze am ledernen Cicero etc. oder studire hellenische Staatsalterthümer und höre den Gerlach und den Vischer. Darauf sag ich: fuimus Troes! Nicht zum Gerlach geh ich, noch zum Vischer, sondern zu zwei Bächen, d. h. zum Hagenbach und zum Riggenbach; und dann zum Müller und auch zum alten Papa Stachel, der mir das Hebräische mit aller Sorgfalt und Liebe einpaukt. Mein Freund! Es ist Alles Anders geworden. Du hast, glaub ich, dasmal gut profezeit, wenn Du mir schriebest, mein ungeheurer moralischer Katzenjammer sei der Durchbruch zu einem neuen Leben. Wills Gott! so soll es das sein. Ich habe seit jenem Briefe einige Fortschritte gemacht: ich habe eingesehen, was das Leben ist, oder wenigstens einen ziemlichen Begriff davon erhalten; ich gebe Stunden und darf hoffen, noch mehr zu erhalten; (zwei Lehrer des Gymnas. haben mir ihre Verwendung zugesagt); ich suche dann damit sowohl meine Bedürfnisse, die ich übrigens auf einen kleinen Maßstab zu reduziren beflissen bin, zu befriedigen, als der Mutter unter die Arme zu greifen; drittens hab ich große Lust am Arbeiten u. Studiren erhalten u. habe wieder etwas Vertrauen zu meinen Kräften gefaßt. […]

Ich hätte noch mehr Neues zu melden: u. etwas – o Du würdest lachen! Aber Du mußt vorher noch ein wenig „wunderfitzig“ werden: mit dergleichen Dingen platzt man eben nicht so heraus. Begnüge Dich drum mit der großen Neuigkeit, daß ich nunmehr Stud. theologiae bin, nicht mehr philologiae. Ich bitte Dich um Deine Ansicht hierüber (Wie bälder, wie lieber).

Wenn jetzt nur noch hinzukäme, daß der Landrath endlich mein Stipendium beschlöße. Zwar hat mir solches Banga schriftlich zugesagt, aber das ist wieder vergessen worden, als sie im November Sitzungen hielten. Könnten Du und Grieder nicht an die Herren schreiben? Ihr beide seid mit uns. landschaftlichen Potentaten gut bekannt u. dürft ihnen schon etwas ins Ohr sagen. Wenns Ihr könnt und wollt und thut, so werd ich Euch vielen Dank wissen und Gott segne Euch dafür! Macht doch, daß ich guter Kerl da nicht immer zu Basel hocken muß, sondern auch fremde Weisheit hören (darf) u. andres Leben anschauen! Ich meine Du könntest an Deinen Oheim, Dr. Matt, schreiben: und Grieder an Schulinspekt. Kettiger. Herr Tschopp würde die Briefe schon bekommen, und ich besorgte ihre Weiterschickung.

Mein Freund, jetzt erst kann ich eigentl. Deinen „Hirtenbrief“ wie ich ihn wegen der Trostestendenz nennen möchte, recht würdigen; jetzt erst verstehe ich Dich auch in Bezug auf das Uebernatürliche. Ich danke Gott aufrichtig, daß er mich auf den rechten Weg wieder gebracht, nachdem ich im Walde u. Gesträuche der Skepsis u. Neologie lang herumgeirrt u. endlich fast die Hoffnung aufgegeben hatte, wieder heraus zu kommen. Da erschien mir der Wegweiser. Mein Wunsch, ja noch mehr, mein Gebet ist es, ich möchte so fortfahren, wie ich begonnen. [...]

Leb wohl mein Freund, u. schreibe mir Recht bald: ich bin noch immer hier, wo Du so oft giengst aus und ein: Ein Brief wird mich gar sehr erfreun.

Karl Mory

 

Nachtrag. – 2 Januar 52. Trotzdem daß mehrere Landrathssitz. gegen Ende des nun verfloßenen Jahres stattgefunden haben – Gelegenheiten also zur Decretierung meines Stipendiums – so habe ich noch gar nichts davon erfahren, u. sonst steht dergleichen in der Nationalzeitg. sowohl als im Volksblatt. – Du wirst es mir also nicht übelnehmen, wenn ich Dich an die in dieser Beziehung ausgesprochene Bitte nochmals erinnere. – […]

Da das Neue Jahr hiemit angefangen hat, so will ich nicht ermangeln, Dir meinen Neujahrswunsch auszusprechen. Und was könnte ich Dir wohl Besseres wünschen, als in äusserl. Beziehung Gesundheit und in geistiger, daß Du fortfahren mögest im Kampf gegen das Böse; und recht viele Siege davontragen. Ich wenigstens wünsche mir das selbst u. glaube, damit viel zu wünschen – für mich aber bitte ich noch, daß Du Deine Freundschaft mir auch im Neuen Jahre erhalten mögest. – Lebe wohl u. sei herzlich gegrüßt von Deinem

Joh. Carl Mory, stud. theol!
sowie auch von den meinigen u. den Helvetiern

Basel. d. 12 April 52

Lieber Freund!

Entschuldige meine Saumseligkeit im Antworten; ich verdamme sie selbst, u. erkenne, wie häßlich diese Untugend von mir ist, daß ich die längste Zeit verstreichen lasse, eh ich einen empfangenen Brief beantworte. Ich bin Dir sehr dankbar für Deine Bemühungen um mich. Gott gebe, daß bald die entsprechenden Früchte sich zeigen. Ich habe unterdessen auch etwas unternommen, wovon ich Dir später Bericht erstatten werde: jetzt will ich noch schweigen. Leid ists mir, daß ich Deiner so gütigen Einladung zu Dir zu kommen in diesen Ferien, nicht folgen kann. Schon wegen des Repetierens u. Nachholens. Du weißt, ich muß eifrig dabei sein, wenn ich etwas können soll. Indessen könnte ich doch etwa an einem schönen Tag Dich besuchen, jedenfalls aber erst in der nächsten Woche. […]

Nun möcht’ ich Dich aber bitten, weil uns nicht vergönnt ist, persönlich öfter zusammenzukommen, doch wenigstens mit mir zu correspondiren. Nämlich ich wünschte gern Deine Auffassung mancher Dogmen kennen zu lernen; ich habe aus der letzten Besprechung gesehen, wie nützlich mir solche Mittheilungen sein können: u. wenn es Dir nicht auf irgend eine Weise schwer fällt, so stelle ich Dir das als meinen sehnlichen Wunsch vor.

So könntest Du mir vielleicht im nächsten Briefe zeigen, wie nach Deiner Ansicht das Dogma von der Gottessohnschaft zu fassen sei, wobei ich Dich auf Joh. 10, 32–37 aufmerksam zu machen nicht unterlassen kann: Denn das scheint mir eine sehr wichtige Stelle zu sein. Gegenwärtig scheints mir, als ob Christus dort sagen wollte, Sohn Gottes nenne er sich blos darum, weil er Gottes Gebot thue, fromm sei, u. auch mit mehrerer Kraft des Glaubens als Andre begabt. Daneben könnte er dann ganz gut rein menschlich gezeugt sein.

NB. Daß Deine Predigt gut abgelaufen, freut mich. Hat sie aber etwa ein verstoktes Herz aufgerüttelt so ist das noch viel mehr zu begrüßen. Nicht wahr? Mit herzl. Gruß

Dein C. Mory theol stud
Es lassen Dich auch freundschaftl. grüßen d. Meinigen.

Waldenburg, d. 25. Mai 1877

Wertheste Frau Pfarrer!

Entschuldigen Sie gütigst, wenn ich theils aus Rücksicht auf die Schule, theils um der Gesundheit willen (d. h. um schon vorhandene Unpäßlichkeit durch eine Reise nicht zu verschlimmern) mich nicht dem Trauerzug anschließe, welcher die sterbliche Hülle Ihres mit Recht unvergeßlich genannten Gatten zu seiner letzten Ruhestätte begleiten wird. Daß sein Hinschied tief beklagt wird und zu beklagen ist, darüber kann nur Eine Stimme sein und mich, den ehemals so häufig mit ihm Verkehrenden, hat es tief erschüttert, diese schmerzliche Kunde zu vernehmen. Ach, wer hätte geglaubt, daß auf das Jubiläum des Vaters so bald der Tod seines noch nicht 50 Jahre alten Sohnes folgen sollte, während jener 50 im Schuldienst zugebrachte Jahre feierte!

Haben Sie die Güte, auch diesem nun gewiß sehr gebeugten Vater und Ihrem werthen Schwager Heinrich meine aufrichtigste Condolenz auszudrücken!

Ihr wahrhaft mittrauernder
C. Mory, Bezirkslehrer