Eduard Bernoulli

Eduard Bernoulli

Bernoulli-Holzach, Eduard, (1830–1906), Studium der Theologie in Basel und Erlangen. 1853 VDM, Vikar in Oltingen und Lyon; dann Hilfsprediger in Elberfeld, Barmen und Langenfeld. 1859–65 Pfarrer in Freudenberg bei Siegen, 1859 Heirat mit Bertha Holzach. 1865–79 Pasteur suffragant in Mülhausen. 1879–84 Pfarrer von Bubendorf, 1884–92 Pfarrer in Merishausen SH.

Als Theologiestudent schrieb Eduard Bernoulli seinem Freund Breitenstein aus Erlangen und später als Vikar und Hilfsprediger aus dem preussischen Rheinland. Im kleinen Dorf Düssel bei Wülfrath und in Elberfeld, dem ‹deutschen Manchester›, sammelte er vielfältige Erfahrungen. Seine Briefe zeugen von einer innigen Freundschaft zwischen den beiden. Es ist bedauerlich, dass keine Briefe Breitensteins an Bernoulli erhalten sind.

Erlangen den 27ten Juli [1851]

Lieber Freund!

Das Jahr, das ich nun bald auf der hiesigen Universität zurückgelegt habe, will ich doch nicht beschliessen, ohne Dir nicht vorher noch wenige, wenn auch unbedeutende Zeilen, zukommen zu lassen. Wir haben ja in Basel manche schöne Stunden miteinander verlebt, die ich nicht vergessen werde (denkst Du noch an jenen Tag in Zyfen?), und sind wir auch jetzt voneinander ferne, der Geist läßt sich an keinen Raum binden, er schwebt mit der Taube leichten Flügeln im Augenblick über die weitesten Strecken, um das ihm Verwandte aufzusuchen, auch haben wir ein gleiches Ziel vor uns, das wir Beide gern erreichen möchten, und wozu wir Beide höhere Hülfe nöthig haben. Nichtwahr, so steht’s? Daher versetze ich mich oft nach Göttingen und frage mich, was jetzt wohl ein Freund Breitenstein, dem es so wohl war auf dem stolzen Rücken des Pegasus, und der so gerne am Rande eines kleinen Bächleins saß, um auf das Gemurmel der Wellen und das Geflüster der Blumen zu lauschen, was er wohl jetzt machen mag, wie es ihm gefällt in der Musenstadt. Nun Du bist gewiß zufrieden mit Deinem Tausch, wenn auch jetzt die liebe Basilea wieder ihr Haupt aus dem Staube hervorhebt, weil ihr theures Kind, die Universität, auf’s Neue zu Ehren kömmt. Ich hoffe, Du werdest mir einmal im nächsten Semester, wenn ich in Halle einheimisch geworden, berichten, wie es Dir eigentl. in der Fremde geht, wie Du da Dich eingerichtet hast, was Dir in Bezug der Theologie dargeboten ist, was Du im Kreise Deiner Landsleute und Freunde genießest etc. Vorläufig will ich Dir Einiges über meinen Aufenthalt hier mittheilen, Du mußt doch auch wissen, was ich in Erlangen „erlangt“ habe.

Manche, die niemals hier gewesen sind, machen sich oft wunderliche Begriffe von der hiesigen Universität, als ob die Richtung auf derselben eine ganz verkehrte sei. Auch ich war früher einer von denen und kam nur auf guten Glauben hin hierher. Wie ganz anders habe ich Alles gefunden, wie froh bin ich, eine solche Wahl getroffen zu haben, wie undankbar müßte ich sein, wenn ich anders sprechen wollte. Allerdings wer eine glänzende Philosophie sucht, wer nach etwas Höherem strebt als nach dem einfachen schlichten Glauben an Gottes Wort, der kann nicht nach Erlangen kommen, hier ist nicht seines Bleibens; wem aber eine gesunde Schrifterklärung, eine reine kirchliche Lehre, eine ungekünstelte Forschung im Gebiete der Theologie am meisten gilt, der wird meinem Beispiel folgen.

Die Männer, die ich hier kennen gelernt habe, wie Ebrard, Delitzsch, Hofmann, Thomasius, sind nicht bloß sehr wissenschaftlich, sondern auch echt christlich, sie verbinden mit der Schärfe des Geistes auch einen tiefen Glauben des Herzens, und das ist das Wahre. Erst durch Ebrards Dogmatik ist mir die reformierte Lehre recht theuer und werth geworden, so daß ich nun weiß, welch köstlich Gut ich besitze, und auch die Lutheraner zu schätzen vermag; erst durch den Jesajas, den der liebe kleine (und doch große) Delitzsch erklärte, habe ich Klarheit gewonnen von dem tiefen Zusammenhang zwischen dem A. T. und dem N., erst jetzt ahne ich es wenigstens, in welchem Verhältniß die Weissagung zur Erfüllung steht. Und was soll ich von Hofmann sagen, der leider von so vielen verkannt wird? und warum dies? weil ihn die Meisten nicht verstehen, oder thörichten Gerüchten über ihn Gehör geben. Ich will zugeben, daß seine Sprache dunkel und oft sehr gesucht, daß er neue Worte bildet, daß seine Ansichten ganz allein stehen, aber hat man sich einmal in diesen Mann hineingelebt, lernt man allmälig seine Eigenheiten verstehen, o welche Tiefe von innerm Reichthum entdeckt man da. Hofmanns Exegese ist meisterhaft; seine Encyclopädie sucht ihres gleichen, seine N. T. Geschichte und Einleitung sind eine Fundgrube kostbaren Goldes. Ich sage gewiß nicht zu viel; ich habe 5 Vorlesungen, 2 im Winter und 3 im Sommer, bei ihm gehört, und da habe ich doch Gelegenheit gehabt, ihn kennen zu lernen. Lacht meinetwegen über mich in Göttingen, ich bin meiner Sache gewiß. [...]

Nach Bonn zieht es mich nicht, es ist zu philosophisch dort, was ich aus Ecklins Brief gehört. Uebrigens hat man auch in Erlangen Gelegenheit, Philosophie zu hören; Schaden und Fischer sind bekannt. – Ein anderes Mal mehr davon. Nächsten Herbst mache ich eine Reise ins Salzkammergut und ins Tirol, viell. auch nach Oberitalien, und dann reise ich nach Basel, wo ich hoffentl. Kündig sprechen kann (darum schreibe ich ihm jetzt nicht). Lebe wohl, grüße mir alle Basler recht freundlich. Grieder wird aus Halle einen Brief von mir bekommen. (Wenn Du mir noch schreiben willst, so ist meine Adresse: E. B. bei Handschuhfabrikant J. Beer, Friedrichsstrasse.).

Nun vergiß nicht Deinen Freund Ed. Bernoulli, st. th.

Erlangen den 7ten Dec. 51 2ten Adv.

Lieber Freund!

Die schöne Gelegenheit will ich nicht vorüber gehen lassen, ohne einige Zeilen an Dich zu schreiben. Dir gefällt es also gut in Göttingen, Du hast in Bezug der Theologie das, was Du für erforderlich hältst, nun das freut mich für Dich. Auch ich finde hier, was ich brauche, ein Beweis davon ist, daß ich auch das 3te Semester hier bleibe, da ich im Sinne hatte, nach Halle diesen Winter zu gehen. Davon abstrahiere ich nun ganz, ein Pfr. von hier bemerkte, von Erlangen nach Halle zu gehen, das sei so viel als vom Pferd auf den Esel steigen. Das ist vielleicht zu stark ausgedrückt, aber etwas Wahres ist gewiß daran, denn die Exegese ist hier vortrefflich. Prof. Hofmann liest ausgezeichnete Collegien; er wird sicherlich noch einen berühmteren Namen in der Theologenwelt gewinnen. Kürzlich ist der 1te Th. seines „Schriftbeweises“ herausgekommen. Ich höre bei ihm den Römerbrief, das ist doch etwas ganz Andres als was ich bei Schenkel hatte, wirklich etwas Gründliches und Tiefes, da lernt man zugleich die wichtigsten Punkte der Dogmatik kennen. […] Freilich was das homiletische und das katechetische Seminar betrifft, so ist es hier gar nicht gut bestellt; daher werde ich nächstes Semester wahrscheinl. nach Berlin gehen, wo bekanntlich Nitzsch ist, den Ernst Stähelin den Theologen κατ̓ εξοχήν [par excellence] nennt. Bei diesem werde ich am meisten lernen können. Nur Du hast an Ehrenfeuchter auch eine rechte Stütze, der ist noch jung, das wird ein grundgelehrter Mann werden. Was hast denn Du im Sinn, kehrst Du nach Haus zurück oder willst Du noch länger in Deutschland bleiben, aber ich glaube, Deine Studienzeit ist ein Jahr früher als die meine vorüber, so daß Du also schon Pfarrer im Baselbiet bist, wenn ich mit Mühe Candidat geworden bin, um in diesem Zwischenzustand zu versauern. Doch die Zukunft soll mich nicht quälen, einstweilen freue ich mich meiner Studentenjahre, bin ich gleich bereits ein altes Haus, so falle ich doch noch nicht zusammen. […]

Lieber Breitenstein! ich habe gehört, ihr Schweizer in Göttingen haltet treu zusammen, nun das ist ein Ersatz für das, was Dir abgeht. Aber was sagst Du dazu, wenn ich Dir melde, daß wir in Erlangen 12 Schweizer sind, die schon manchen vergnügten Abend untereinander verlebt haben, 5 derselben gehören auch dem Wingolf an. Wir bilden zusammen keinen besonderen Verein, das könnte ich schon als Wingolfit nicht, aber wir haben eine gemeinschaftliche Kneipe, auf der wir jeden Samstag Abend zusammenkommen, um gemüthlich über das gemeinsame Vaterland zu sprechen und bisweilen etwas aus dem Gärtlein vorzutragen. Dadurch geschieht aber dem Wingolf keineswegs ein Abbruch.

Wer ist denn noch aus Basel in Göttingen? Schreibst Du manchmal K. Mory; ich habe ihn besucht, während ich in Basel 4 Wochen verlebt, und leider vernehmen müssen, daß er noch gleich ungläubig ist, obgleich er wegen eines Stipendiums zur Theologie [gewechselt] ist, das schreckliche Ende Sachers hat keinen bleibenden Eindruck auf ihn gemacht. Es müssen scheint’s noch schwerere Prüfungen [kommen] um ihn zu beugen: ich hoffe immer noch für ihn. Hast Du vielleicht schon gehört, daß Fr. Ecklin die Preisarbeit gewonnen und den Preis dafür mit Schenkel getheilt hat? Was macht denn der liebe Grieder? ich grüße ihn speziell als Mitglied des Vereins, dem auch ich angehöre. Sein Bild hängt in der Mitte der anderen Vereinsmitbrüder. Nun lebe wohl, ich weiß nicht, was ich Dir noch schreiben sollte, auch habe ich keine Zeit mehr: Grüße mir alle Basler in Göttingen, und sei versichert der innigen Liebe von Deinem Freunde

Eduard Bernoulli.

Düssel bei Wülfrath, Rheinprovinz 1 März 1854.

Geliebter Freund!

Es ist bald ein Vierteljahr, daß ich an meinem neuen Bestimmungsorte bin, und ich weiß nicht, wie es gekommen ist, daß ich Dir bis dahin noch nicht geschrieben habe. Aber Du wirst es nicht als Mangel meiner Freundschaft zu Dir ausgelegt haben, die Wochen eilten eben dahin ganz merkwürdig schnell, woraus Du merken kannst, daß mir der Winter, auch in stiller Einsamkeit, in einem kleinen friedlichen Dorfe, keine große Langeweile verursacht hat. Du wirst übrigens, wie ich erwarte, bereits von  Sartorius erfahren haben, wie es mir in meinem Amtsleben ergangen ist, da von Familienleben noch keine Rede sein kann. Alles dreht sich bei mir um’s Amt, Alles, was ich erfahre, hat darauf Bezug. Wer hätte auch gedacht, daß wir, die wir zusammen in’s Paedagogium gingen und manche heitere Stunde in einem gemeinschaftlichen Kränzchen verlebten, bald so verschiedene Wege zu gehen hätten, die aber immerhin das gleiche, erhabne Ziel verfolgen. Der Mensch stellt sich seine Zukunft gewöhnlich ganz anders vor, als sie Gott bereits in seinem ewigen Rathschluß geordnet hat. Wir bewegen uns allerdings frei, aber doch in den von Gott gewollten Geleisen, und Alles, was wir selbst zu thun meinen, wird von Ihm so gelenkt, daß seine weise Absicht dabei erreicht wird. Mir ist noch lange nicht gewiß, daß ich in Preussen bleiben werde, obgleich ich bereits ein halber Preuße geworden bin, so weit sich dies mit meiner republikanischen Gesinnung vereinigen läßt. Was würdest Du dazu sagen, wenn Du mich am Sonntag die Agende vor dem Lesepult hörtest verlesen und ein Gebet für den König, meinen Herrn, seine Gemahlin etc. sprechen? Nun ich bin ja jetzt sein Unterthan und ich denke, sein getreuer, hab’ auch früher stets eine hohe Achtung vor ihm gehabt, und werde dieselbe behalten, wenn ich auch wieder in der Schweiz sein sollte. Auf die örtliche Entfernung kommt es übrigens gar nicht an, mir ist so wohl in Düssel, als wäre ich Vikar oder Pastor auf der Landschaft Basel; wo ich Liebe erfahre, da find’ ich meine Heimath, da schlage ich gerne meine bescheidne Hütte auf. Allerdings vermisse ich manchmal meine alten Freunde, aber der Herr schenkt mir neue in den Predigern der Umgegend, und mit den alten stehe ich in geistiger Verbindung. Oefter fehlen mir auch mein Vater und meine Geschwister, doch ich denke, daß ich nicht eigenwillig diesen Posten angenommen habe, und verlasse ihn daher nicht, bis ich abgelöst werde, einer treuen Schildwache gleich. Auch daheim könnt’ ich nicht immer bei den Meinigen sein, sondern müßte da und dort, wo’s nöthig ist, dienen.

Wie geht es Dir denn, mein Lieber? alle Tage über Kopf und Hals zu arbeiten, nicht wahr? Ja, Du bist an eine schwierige Stelle gekommen, der H. gebe Dir Kraft, auszuhalten und es nicht zu machen wie der Proph. Jonas, der seinem Gotte über’s Meer davon laufen wollte, so daß ihn ein Fisch verschlingen mußte! Und wie befindet sich Deine l. Frau? grüße sie freundl. von mir. Darf ich Dich bald als Vater eines „Weids“ (Mädchens) oder eines „Jüngsgen“ begrüßen? Ich wünsche Dir von Herzen, daß die schwere Stunde glücklich vorüber gehe und Joh. 16, 21 wahr werde. Vom l. Mory habe ich schon lange nichts mehr gehört, er ist mir einen Brief schuldig. Ich hoffe, Du werdest mir meine Saumseligkeit nicht vergelten, sondern bald einige Zeilen schreiben.

Es drückt Dir brüderlich im Geist die Hand
Dein treuer Ed. Bernoulli.

Fingscheid bei Neviges, Kr. Elberfeld den 22t Jan. 1856.

Lieber Freund!

Es ist ein eigenthümlicher Trieb in mir, die unter uns in Stocken gerathene Correspondenz wieder in’s Leben zu rufen, indem es mir leid thäte, wenn wir gar nicht mehr mit einander verkehrten, die wir doch früher Einem Ziele entgegen gingen. Ich weiß nicht, und will es auch nicht untersuchen, wer von uns schuld daran ist, daß wir so lange nicht mehr einander geschrieben haben, jedenfalls ist es von meiner Seite nicht Erkaltung der Freundschaft, die ich zu Dir habe; daher will ich selber den Anfang machen, und mit diesen Zeilen an der Thüre Deines Pfarrhauses, oder besser an Deinem Herzen anklopfen, um die alte Liebe wieder aufzufrischen.

Womit soll ich aber anfangen, da eine so lange Zeit unterdessen verflossen ist? Ich melde mich ex abrupto als Hilfsprediger von Langenberg bei Dir. Schon seit mehr als 7 Monaten bin ich nämlich zum  Hilfsprediger nach Langenberg gewählt worden, einem hübsch gelegnen Städtchen an der Grenze von Rheinpreußen und Westphalen, 2 starke Stunden etwa von Elberfeld entfernt. Bis zum Anfang des Winters wohnte ich im Orte selbst, von wo aus ich große Touren zu machen hatte, um in den Bezirken, die mir im Berufe angewiesen worden si nd, die mir obliegende Arbeit zu versehen. Im Monat Oktober des vorigen Jahres zog ich auf das Land, um mitten in meinem Gebiete wohnen zu können, und so residiere ich jetzt in der Schule zu Fingscheid, in einer ziemlich einsamen Gegend, nur ein Stündchen von Elberfeld abgelegen. […]

Durch meine Berufung nach Langenberg bin ich nun auch in Fall gekommen, in Preussen mich naturalisieren zu lassen. So bin ich denn gänzlich ein preußischer Unterthan geworden, und habe feierlich in der Kirche den Eid der Treue geleistet meinem geliebten Herrn und Könige Friedrich Wilhelm IV. Am Geburtstag desselben, am 15ten Oct., stimmte ich von Herzen in das Preußenlied ein: „Ich bin ein Preuße, kennt ihr meine Farben?“ Schwarz und weiß – auch die Baslerfarben. Obgleich ich jetzt ein Preuße bin, und als solcher meinen König liebe, den ich früher wenigstens geachtet habe, wallt doch noch fort und fort das freie Schweizerblut in mir, und ich kann nimmermehr meine theure Heimath vergessen. Nun werd’ ich auch schwerlich wieder nach der Schweiz zurückkehren, um etwa in der dortigen Kirche meinen Wirkungskreis zu suchen, weil meine Laufbahn einmal hier mir angewiesen ist, oder es müßten noch besondre Verhältnisse eintreten, die mich wieder nach Hause riefen, was sich natürlich vorher nicht berechnen läßt. Daß ich so weit von den Meinigen, so weit von den früheren Freunden und Bekannten entfernt bin, ist mir freilich häufig sehr unangenehm; aber der Gedanke tröstet mich wieder, daß die geistige Verbindung deshalb nicht aufhört, und daß ja die Erde überall des Herrn ist. Der Ort, wo Gott Einen hinberufen und zum Arbeitsfeld gegeben hat, wird demselben auch zur Heimath, wird ihm lieb und werth, so daß es ihm selbst schwer würde, wieder sich von ihm zu trennen. So geht es mir, und gewiß auch Jedem, der ein Amt hat. Ich fühle mich hier recht glücklich, freue mich, daß ich mit meinen geringen Kräften meinem Heiland dienen, und sein Evangelium armen Sündern, wie ich selber einer bin, verkündigen darf. Er segnet mich trotz meinen vielen Untreuen und Versäumnissen, Er begleitet mich auf meinen Wegen. Ach! wenn ich seine reiche Gnade nicht immer wieder kindlich mir zueignen, in seinem kostbaren Blute nicht allezeit Vergebung und Trost finden könnte, ich müßte verzagen, ich hielt’s nicht aus in meinem wichtigen verantwortungsvollen Berufe – mir liegt gerade keiner von Deinen frühern Briefen vor, aber wenn ich mich nicht irre, so hast Du einmal über die vielen Unterlassungssünden geklagt, die oft und viel im Amte vorkommen. Abgesehen von der Unzahl andrer Sünden, die wir täglich begehen, möchten Einen schon die eben erwähnten zu Boden drücken und muthlos machen, so daß man versucht würde, einen andern Beruf zu erwählen. […]

Wie es Dir unterdessen ergangen ist, dies bald zu vernehmen, wird mich sehr erfreuen. Ist die Nachricht wahr, daß Du wieder glücklicher Vater geworden bist, so gratuliere ich Dir dazu von ganzem Herzen. Deine Erfahrungen im Amt werden mich immer interessieren, indem ich daraus für mich selber stets viel lerne. Kommst Du auch noch bisweilen mit Sartorius zusammen? Grüß ihn freundlich, und frag ihn, ob er über seinem Hanneli seine frühern Freunde völlig vergessen habe? Er ist mir seit einem Jahre einen Brief schuldig. Mit Mory stand ich bis dahin immer in brieflicher Verbindung, und ich bin wirklich gespannt auf seinen nächsten Brief, weil ich an seinem dunkeln Lebensgang den herzlichsten Antheil nehme. Wie wünschte ich ihm, daß er doch durch des Herrn Gnade ein gläubiger Theologe würde, der seinem Berufe treulich nachkäme. – Kündig hat mir mit großer Begeisterung sein Glück gemeldet. Auch von den andern Freunden habe ich erfreuliche Nachrichten. Da darfst Du denn nicht zurückbleiben, sondern sollst mir auch einmal Dein Herz ausschütten.

Mit brüderlichem Gruß an Dich und an Deine l. Frau
Dein Ed. Bernoulli.

Fingscheid den 23ten Apr. 1856.

Lieber Freund!

Dein Brief hat mir große Freude bereitet, und ich bin Dir sehr dankbar dafür, indem ich wieder einmal einen Blick in Dein Berufs- wie in Dein 0Familienleben habe thun können. Du hast wirklich unangenehme Erfahrungen in Deiner Gemeinde gemacht, aber ich hoffe, daß sie nun überstanden sind und daß dadurch das Verhältniß zwischen Dir und der Gemeinde nicht gestört worden ist. Ein Pfarrer hat ja vor allen Dingen – natürlich stets in der Wahrheit – darauf bedacht zu sein, daß er ein offnes Vertrauen bei seiner Heerde genieße, mit ihr in inniger Verbindung stehe, so weit dies möglich ist; hört dies auf, dann wird die Wirksamkeit ungemein erschwert, ja fast unmöglich. Doch der Herr ist in den Schwachen mächtig; und es muß auch Jeremia’s geben, die einem abtrünnigen Volke gegenüber stehen. Ueberhaupt erscheinst Du mir als ein ziemlich geplagter Mann in Deinem schwierigen Amt, wie einst Moses, nur in etwas geringerem Grade. Verlier nur den Muth nicht, und mach’s nicht wie Dein Namensvetter vor Ninive unter dem Schatten des „Kürbis“. Solche Begebenheiten, wie Du sie mir mitgetheilt hast könnten Einen in der That ganz mißmuthig machen, wenn man’s vergäße, daß Alles vom Herrn uns zukömmt.

Von hier aus kann ich Dir eigentlich nichts Interessantes berichten. Die Lage, wie ich sie Dir im letzten Briefe beschrieben habe, ist dieselbe geblieben, ich gehe ruhig und still meinen Gang vorwärts, und warte geduldig ab, was eigentlich der Herr mit mir vorhat. Da der Winter so ziemlich vorüber ist, und die Natur allmälig durch Gottes Odem erneuert wird, dadurch wird mein Wohnen auf dem Land bedeutend angenehmer. […]

Ich bin mit meiner Stellung ganz zufrieden, und werde an meinem Posten ausharren, bis ich eine ganz eigene Gemeinde erhalte. Was die finanziellen Umstände betrifft, so stehe ich besser als mancher Pfarrer in der Schweiz, nur daß das Pfarrhaus fehlt, und ich könnte jetzt schon einen Familienheerd gründen, aber ich habe gute Gründe, warum ich damit warte, ich thu’s lieber als Pfarrer, und es hat ja noch Zeit damit, ich bin erst 25 J. alt. Wie geht es denn den andern Freunden? Die kommen eben nach und nach alle in’s Amt, und werden dasselbe Leben führen wie wir, in Hoffnung den Samen ausstreuen. Von Fr. Ecklin erhielt ich kürzlich einen schönen Brief. Er sowie sein Bruder Wilhelm haben eine gesegnete Wirksamkeit im Kanton Neuenburg. E. La Roche schrieb mir von Genf aus, unterdessen wird er wieder nach Haus zurückgekehrt sein, und auf eine Anstellung warten. Dem armen Mory bin ich schon lang einen Brief schuldig, ich muß ihm bald schreiben, sonst zählt er mich auch zu denen, die ihn vergessen haben. Er thut am besten, wenn er einen andern Beruf erwählt. Das ist freilich sauer, noch als Candidat, nachdem man so weit mit Mühe gekommen ist, nach einer andern Stelle sich umsehen zu müssen, aber auch ich glaube jetzt, daß er zum Pfarramt durchaus nicht paßt. Ich habe großes Mitleid mit ihm, doch kann ich ihm von hier aus unmöglich helfen. R. Kündig wird jetzt glücklicher Ehemann sein, und die Honigwochen der ersten Liebe kosten, oder die Hochzeit steht wenigstens bald bevor. Nun ich lasse sie Alle freundl. grüßen, besonders auch Sartorius, und vor Allem Deine liebe Frau. Wir wollen [beim] Correspondieren bleiben – nicht wahr? Nun so wart [nicht] wieder ein ganzes Jahr.

Der Herr segne Dich und [sei gegrüßt von]
Deinem treuen Freund Ed. Bernoulli.