Ernst Breitenstein (1857―1929)

Lebensdaten

Geboren am 12. Juli 1857 in Binningen

1873–1877 Malerlehre bei Samuel Baur in Basel, Unterricht bei Fritz Schider an der Zeichen- und Modellierschule der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen und Besuch der Gewerbeschule
1878 Aufenthalte in Genf und Bern sowie Gesellenarbeit unter dem Maler Ernst Stückelberg bei den Fresken der Tellskapelle bei Sisikon
1879–1880 erste Pariser Reise, Weiterbildung im Atelier Cola Rossi (unter Alexandre Falguière und Henri Chapu), Arbeit in der Fayence-Fabrik von Théodore Deck
1881–1885/86 Rückkehr in die Schweiz, Wanderungen via Wallis auf den Hasliberg, zweiter Paris-Aufenthalt und zwei Studienreisen nach Algier
1882–1884 Ausstellungen im ‹Salon d’Industrie› in Paris.
1887 Rückkehr in die Schweiz und Heirat mit Maria Kohl. Wohnhaft teils auf dem Hasliberg, teils in Basel.
1889 Verleihung einer Bronze-Medaille an der Weltausstellung in Paris für das Aquarell ‹Ma chère Mère›
1888–1891 Geburt der drei Kinder: Maria, Hanny und Ernst. Die Familie wohnte zunächst im Horburger Schloss in Basel, zog dann nach Binningen ins Oppliger Haus. Später baute Ernst Breitenstein ein Haus an der Bottminger Mühle. Das ‹Hüttli› auf dem Hasliberg war ständiger Zweitwohnsitz.
1893–1927 Regelmässige Beteiligungen an Ausstellungen in Basel und Zürich. Im Besitz des Kunstmuseums Basel sind die Bilder ‹Ma chère Mère›, ‹Frühling› und ‹Auf freier Alpenhöh›.
1900 Reisen nach Italien und München
1914 Tod seiner Frau Maria
1921 Tod seiner Tochter Hanny
1923 Erstausgabe seiner Memoiren ‹Öppis us mim Läbe› (1. Auflage 1925) Gestorben am 15. November 1929 in Binningen.

Gestorben am 15. November 1929 in Binningen.

‹Öppis us mim Läbe›

Künstler, die über ihr Leben schrieben, haben immer ein dankbares Lesepublikum gefunden. So erging es auch dem Baselbieter Maler Ernst Breitenstein, als 1923 seine schlichten, gemütvollen Aufzeichnungen in der heimatlichen Mundart in der «Garbe» erschienen. Das Werklein war bald vergriffen, und immer mehr Freunde einer ungekünstelten, von Herzen kommenden Lebenspoesie fragten nach einer neuen Auflage. Zwei Jahre später kam der Sohn des Pfarrers vom St. Margarethenkirchlein, Jonas Breitenstein, diesem Wunsch nach. Er hat den Faden seines Erzählens weitergesponnen bis in sein waldbruderhaft einsames, von Erinnerungen durchwobenes Dasein. In herzerquickender Weise erzählt uns der Binninger Künstler aus seiner Einsiedelei heraus Ernstes und Lustiges «vo myner Jugedzyt im Binniger Pfarrhus, und wie-n-is als Moler tribe ha, und no wie-n-i zue mym Fraueli cho bi und mr zäme di erschti Wiehnecht an Haslibärg brocht hei» und noch mancherlei anderes. Es wird einem wohl und wehmütig zugleich beim Lesen dieser Erinnerungen. Die rechte Abrundung wurde dem innigen, seelenvollen Buch eigentlich erst durch diese Fortsetzung zuteil. Erst gegen den Lebensabend offenbarte es sich, dass Ernst Breitenstein ein dichterisches Erbe von seinem Vater Jonas in sich trug; die «goldene Abendsonne» eines verinnerlichten Lebens strahlt aus dem vollendeten Werk, wo Freude und Wehmut sich in einem geläuterten Menschentum vereinigen. Mit dieser Neuauflage seiner Lebensgeschichte, versehen mit vielen Gemälden und Zeichnungen aus allen Perioden seines Schaffens, ergänzt mit Lebensdaten und Berichten von Zeitgenossen wird vielleicht der vergessen geglaubte Maler Ernst Breitenstein, der im Zenit seines Lebens weit über Basel hinaus grosses Ansehen genoss, wieder zu neuen Ehren kommen.
Ortsmuseum Binningen 2012

Nachruf Basler Nachrichten, November 1929
Ida Frohnmeyer, aus ihrem Nachruf auf Ernst Breitenstein in den Basler Nachrichten, November 1929

Ging da eines Morgens auf der Redaktion der «Garbe» die Türe auf, und auf der Schwelle stand ein Mann, den ich im ersten Moment ein bisschen betroffen, vielleicht sogar ein ganz klein bisschen amüsiert betrachten musste: eine mittelgrosse Gestalt in weiten, karierten Hosen – Jacke und Kragen auch irgendwie anders als bei andern Sterblichen, das rotbraune Gesicht umwallt von einem silbergrauen Bart. Aber das Ueberraschendste war eine mächtige Fülle silbrigen Lockenhaars. Dann sah ich die Augen des Mannes auf mich gerichtet; und nun sah ich nichts Absonderliches oder gar Lächerliches mehr in seiner Erscheinung, denn diese Augen strahlten so viel Gutes, Liebenswertes, Vertrauengebendes und Vertrauenheischendes aus, dass man ganz vergass, einen alten Mann vor sich zu haben. Man hatte das Gefühl, auf ihn zugehen zu müssen, um ihn an der Hand zu nehmen wie ein Kind.

 

Und dieses Gefühl beherrschte mich auch bei unserer Unterredung. Die Worte flossen ihm nicht so leicht vom Munde. Man musste ihm zur Hilfe kommen, musste ihn zu erraten suchen. Und welche Dankbarkeit leuchtete darob aus diesen Kinderaugen, die ja nur der Spiegel waren eines seltsam rein gebliebenen Kinderherzens.

Es war nicht ein Anliegen betreffs seiner Bilder, das Ernst Breitenstein zu uns geführt. Nein, er hatte etwas geschrieben, Aufzeichnungen aus seinem Leben, und als ich ihn fragte, ob er das Manuskript bei sich habe, bejahte er und legte zugleich eine mächtige Rolle vor mich hin.

Ich habe schon allerlei Manuskripte in Händen gehabt, gut und klar geschriebene und solche, bei denen man sich fragte, woher der Verfasser den Mut nehme, einem ein solches Geschmier vorzulegen. Das Manuskript aber, das der liebe alte Mann vor mich hinlegte, übertraf jedenfalls alle an Eigenart. Es war mit Bleistift geschrieben, in grossen Buchstaben, auf grobkörniges Zeichenpapier, und immer wenn eine Seite zu Ende gewesen, hatte er die nächste angeklebt. Dadurch war die Rolle entstanden, die mich wahrhaft biblisch anmutete, obwohl ich nicht genau weiss, ob die israelitischen Rollen, die man «herumzuwerfen» pflegte, auch so dreinsahen.

Ich versprach, die Rolle möglichst rasch durchzulesen und an zuständiger Stelle Bericht zu erstatten, und Ernst Breitenstein meinte lächelnd, sie sei denn nicht schriftdeutsch geschrieben, er müsse seinem Schnabel folgen, und der könne nur baselbieterisch pfeifen.

Ich nahm die Rolle unter den Arm und dann verabschiedeten wir uns, und ich schaute dem alten Manne nach, wie er langsam durchs Vorzimmer ging. Aber plötzlich blieb er stehen, kehrte sich um, betrachtete mich und kam strahlend auf mich zu. «I muess-e-ne nonemol adie sage,» sagte er. «Si hebe jo die Rolle im Arm, so bhuetsam und lieb, wie wenn’s e Buscheli wer!» Ich versicherte ihm lachend, dass ich Buscheli gewöhnlich nicht unter den Arm nehme, aber im Übrigen habe er recht gefühlt. Da schüttelte er nur die Hand und ging wieder von mir weg, und während ich ihm nachschaute, hätte ich eigentlich am liebsten geheult. Besinnen wir uns, wie oft uns ein Mensch – ich denke jetzt nicht an Kinder – wie oft uns ein Mensch begegnet, der etwas ausstrahlt, das uns denken macht …. reinen Herzens?

In unserer Redaktionsstube steht ein grosser runder Tisch. Über diesen liess ich die breite Rolle laufen, um ihren Inhalt besser entziffern zu können. Und aus allem, was da berichtet war, schaute mich der feine, kindliche, wahrhaft gute Mensch an. Ich weiss wohl: es ist nicht möglich, ja nicht einmal wünschenswert, dass wir alle so wären wie dieser alte Mann. Gottes Schöpfungsgarten ist glücklicherweise ein buntes uns unbegrenztes Vielerlei. Aber wie gut, wie dankenswert ist es, dass man auch Menschen begegnet von der Art Ernst Breitensteins. Freilich sind sie auch von einer leisen Tragik umgeben. Es wird seinen Grund gehabt haben, dass Ernst Breitenstein sich gerne als «Der Einsiedler» unterschrieb. Aber wenn ich an sein Heim denke, das wie ein grünumsponnenes Märchen anmutete, meine ich doch, er müsse seine tiefen Glücksstunden gehabt haben, zumal als sie noch an seiner Seite ging, deren Name und Wesen auch nach ihrem Tode noch alle Räume füllte.

Es ist ein befreiender Gedanke, ihn nun aller Bedrängnis enthoben und in einer Welt zu wissen, die ihm wohl heimatlicher sein wird als die unsere.

Künstlerleben in Paris

Aus dem Bilderbuch eines Lebens
Walther Siegfried

Von Basel waren Emil Beurmann, Ernst Breitenstein, Hans Garnjobst und Arnold Schindler nach Paris gekommen; teils durch sie, teils auf anderen Wegen hatte ich zu französischen, belgischen und holländischen Malern Beziehungen gewonnen. Abermals eine neue Welt in dem gleichen Paris, in dem ich ihrer bereits so verschiedene hatte kennen lernen! Eine Welt, die ihr Leben jenseits der Seine lebte, in Ateliers, Malschulen, Abendakt-Sälen und billigen Bohème-Restaurants. Strebende Menschen, die mich anzogen wie das mir Bestimmte, als mir wesensverwandt. Da war Interesse für alles was mich selbst interessierte; da herrschte das Auge; da wurde nachgedacht, so sehr über das Leben wie über das eigene Ich; man sprach vom Ernstesten und Besten. Hier war die grosse Aufrichtigkeit über sich selbst zu Haus. Fast jeder war auf seine Weise ein Besonderer; der durch tiefere Werte, jener durch erheiternde Schrullen. Was für Gestalten, was für Daseinsbilder, wenn man von einem zum andern ging! Natürlich schier unerreichbar weit draussen, wo die Mieten auch einem fast Mittellosen ermöglichten, irgendwelches Gelass sein Atelier zu nennen.

Der gute Breitenstein! An der äussersten Rue de Grenelle hausend, im letzten, niederen Lotterbau eines endlosen Hofes, der sich in freie Gründe verlor. Hühner auf einem Abfallhaufen; aufgehängte Lappen, die Wäsche bedeuteten, in der russigen Nebelluft wehend. Der rührend naive Dorfpfarrerssohn mit dem Basellandschäftlerdialekt inmitten dieses Pariser Vorstadtpfuhles eine Ungereimtheit, mit der man sich jedesmal erst wieder abfinden musste. So viel grundbrave Weltfremdheit und so viel gottvertrauender Mut, fast mittellos den mehrjährigen Aufenthalt in Paris durchzuzwingen, berührte einen erbaulich oder betrüblich, je nachdem man den Wackeren getrost oder in bitterer Bedrängnis traf. Eines Tages fand ich ihn vor seinem Verliess auf dem Hofe malend, ein feuerrotes Schnupftuch phantastisch um den Kopf geschlungen. «Weisst du», sagte er, «sie tragen jetzt im Atelier und Abends bei Cola Rossi (im Aktsaal) alle solche rote und blaue Filzhüte ohne Bändel. Sie kosten im Louvre einen Franken und stehen einem chaibeguet. Aber ich kann mir keinen kaufen. Da binde ich mir halt so ein Nastuch um!»

Um seine Ateliermiete zu verringern, hatte er einen Kollegen als Wohngenossen hereingenommen. Den liess er in seinem Bette schlafen, zimmerte sich darüber eine Estrade, worauf er eine Matratze legte und kletterte nachts über ein Leiterchen dahinauf. Nun war aber für sie beide bloss ein Waschgeschirr vorhanden, und jeder von ihnen verabscheute es gleichermassen, sich erst nach dem andern darin waschen zu sollen. Wie nun in jeder Frühe oben und unten in den zwei Lagerstätten gelauert und geplant wurde, den andern zu übertölpeln, und wie bauernschlau Breitenstein es anstellte, trotz des weiteren Weges zur Schüssel doch fast täglich ihr Erstbesitzer zu sein, das schilderte er umso grotesker komisch, als er es in schwer verärgerter Ernsthaftigkeit tat. Der Andere wiederum, ein reicher Kauz, aber zu geizig, sich ein eigenes Atelier zu gönnen, erzählte uns empört von dem Luxus, den Breitenstein sich trotz seiner Armut nicht versage. Habe nicht auf der Estrade neulich, hinter der Matratze versteckt, ein ganzer Topf voll Marmelade von Félix Potin gestanden! Und vorige Woche sei der kindische Mensch in den Zirkus gegangen und von so dummem Zeug wie dem Reifspringen ganz begeistert gewesen. «Lueg!» sagte Breitenstein, als er mir zutraulich seinen Streit hierüber mit dem Geizigen erzählte, inniglich über dessen Ärger erfreut, «öppis muess i halt mengmol ha, wo mi g’lustet! E bitzeli Gumfitüre – oder emol eso g’seh Jumpfere gumpe – derno bin i wieder ganz en andere Mensch!» Dazu musste man ihn sehen, den stämmigen untersetzten Burschen mit den roten Äpfelbacken, den ehrlichen Kinderaugen und dem schwarzen Kraushaar, in das die Härte des Lebens schon so früh graue Fäden gesponnen.

Frühling, 1893. (aus Basler Privatbesitz 2016 versteigert)#Kunstmuseum Basel
Junge Araberin, Ölgemälde 1883#Privatbesitz
Mustapha, Aquarell 1885.#Privatbesitz
Stilleben mit Gemüse und Laterne, undatiert, Öl auf Leinwand
„Die Spinnerin“ 1888.#Privatbesitz
Baselbieter Seidenbandweber, Aquarell auf Papier, undatiert.#Sammlung Museum BL
„Jugend und Alter“, undatiert.#Privatbesitz
Kindergesang, ca. 1897, Aquarell#Privatbesitz.
Ziegenhirtin auf dem Hasliberg, Ölgemälde#Privatbesitz.
Der Birsig bei Binningen, Aquarell ca. 1916#Privatbesitz.
Selbstporträt 1887, Ölgemälde.#Ortsmuseum Binningen
Ma chère mère, 1885, Aquarell.#Kunstmuseum Basel
Bernerin, Ölgemälde 1882.#Privatbesitz
Cousine Mina, Aquarell 1881#Ortsmuseum Binningen.
Meine liebe Braut, Ölgemälde 1887.#Ortsmuseum Binningen
„Eueses Hüttli“, Hasliberg, Ölgemälde 1888.#Privatbesitz
„Mutterglück“, Ölgemälde 1885.#Privatbesitz
Hanni und Marili, Ölgemälde 1893.#Privatbesitz.
Selbstbildnis „Moler Eisidler“, Selbstbildnis, Kohlezeichnung ca. 1920.#Privatbesitz.
Musikanten am Rhein, Ölgemälde 1909.#Bildersammlung der Gemeinde Binningen.