Gottlieb Wilhelm und Wilhelm Fetscherin
Fetscherin-Cornaz, Wilhelm, (1855–1920), Sohn von Gottlieb Wilhelm Fetscherin.-Lichtenhahn, (1874–76), studierte Philologie in Bern und Basel, wo er 1874/75 Pensionär im Hause Breitenstein war, sowie in Göttingen. Später Sekundarlehrer und Schulrektor in Murten FR.
Hochgeehrter Herr,
Indem ich Ihnen hiemit Vertrags gemäß frs 200 Kostgeld für meinen Sohn Wilhelm per Postmandat zusende, erlaube ich mir einige Zeilen beizufügen. Vor allem haben meine Frau und ich alle Ursache, Ihnen und Ihrer verehrten Gemahlin auf’s Herzlichste zu danken für alle Güte, die Sie unserm Sohne erweisen u. bisher erwiesen haben; welch eine große Beruhigung ist es für die Eltern, den abwesenden Sohn in einer braven Familie zu wissen! Es wäre uns sehr leid, wenn Ihnen Wilhelm Störung in Ihr ruhiges Familienleben hineinbrächte. Sie würden uns sehr verpflichten, wenn Sie uns bei Anlaß der Empfangsanzeige des Geldes von seinem Benehmen in Kenntniß setzen würden, wie Sie mit ihm zufrieden seien, ob er Ihnen Anlaß zu Klagen gebe. Indem wir Ihnen, Ihrer Gattin und Ihren Kindern einen recht gesegneten Aus- u. Eingang wünschen und unsern Sohn Ihrem fernern Wohlwollen empfehlen, grüßt Sie mit Hochachtung Ihr ergebener
W. Fetscherin
Werther Herr Pfarrer!
Da mein Bruder nun wirklich, wie ich geglaubt habe, in den Frühlingsferien nach Basel geht, bietet sich mir eine günstige Gelegenheit, Ihnen einige Zeilen zu schreiben. Bei der großen Eile, in der ich vor vierzehn Tagen verreisen mußte, glaube ich fast vergessen zu haben, Ihnen für die viele Güte und Liebe zu danken, mit der Sie mich in Ihre werthe Familie aufgenommen haben; seien Sie versichert, daß die Zeit, welche ich bei Ihnen verlebt habe, eine meiner angenehmsten, freundlichsten Jugenderinnerungen bilden wird. […]
Was werden Sie wohl machen bei diesem herrlichen Frühlingswetter? Besorgen Sie nach dem Essen wohl noch immer Ihren Garten? Die muntere Kinderschaar wird wahrscheinlich nach wie vor ihre lustigen Spiele machen und sich der lieben Sonne freuen. Ich vermisse sehr, daß ich nach dem Essen nicht spazieren gehen kann, wie in Ihrer freundlichen Gegend; da strecke ich nach dem Essen den Kopf zum Fenster hinaus und schnuppe etwas Luft, aber nur von der widerwärtigen Stadtluft. Denn um im Freien zu sein muß man schon einen rechten Spazirgang machen, zu dem man aber nicht immer Zeit hat. Ich denke noch oft an die schöne Zeit, die ich bei Ihnen verlebt habe und sehne mich nach dem Lande; in unsern vier Mauern drin ist es nichts weniger als gemüthlich, eine dumpfe Luft etc. Es nimmt mich wirklich wunder, ob Sie sich entschlossen haben, Ihren alten Pensionär Eugen wieder aufzunehmen, oder ob Sie es vorziehen allein zu sein.
Gestern habe ich mit meinem Vater einen kleinern Ausflug nach Gottstatt bei Biel gemacht. Man hat nämlich das ehemalige Kloster in ein Pfrundhaus umgewandelt, wo alte arbeitsscheue und schimpfreiche Individua männlichen und weiblichen Geschlechts verpflegt werden. Später verwendete man einen Theil des Klosters zu einem Waisenhaus für Knaben (18) und Mädchen (9). Einer dieser Knaben ist Pflegling meines Vaters, d. h. ein Landsaßenkind unserer Zunft und da gestern gerade das Examen war, giengen wir dorthin. Was das physische betrifft, sind alle diese Kinder gesund, blühend, mit rothen Bäcklein, hingegen in Bezug auf die Kenntnisse stehen sie weit hinter andern Anstalten zurück. Es kann vielleicht später noch kommen.
Ich will aber Ihre Geduld beim Lesen nicht länger in Anspruch nehmen. Noch einmal spreche ich Ihnen, so wie nicht weniger Ihrer werthen Gemahlin, den herzlichsten Dank aus für die freundliche Aufnahme, die Sie mir zu Theil werden ließen und schließe mit den besten Empfehlungen und Grüßen an Sie und ihre werthe Familie. Auch meine Eltern tragen mir die besten Empfehlungen an Sie auf.
W. Fetscherin.
NB. Wir erwarten diesen Sommer ganz bestimmt einen Besuch aus der Friedensgasse. Wollen Sie gütigst auch Ihre Herren Brüder und ihre Familien von mir grüßen, sowie auch H. Übelins und Preiswerk.
Meine liebe Frau Pfarrer!
Wie ein mächtiger Donnerschlag aus heiterem Himmel hat mich die traurige Nachricht von dem schnellen Hinscheid Ihres lieben Gatten und Vaters getroffen; so unerwartet, so ungeahnt traf mich diese schmerzensreiche Nachricht, und ich kann mir immer noch nicht vorstellen, daß Ihr lieber Gemahl wirklich der Erde entrückt sein sollte. Wie ich durch meine Tante vernahm hat eine überaus heftige Lungenentzündung ihn seinem segensreichen Wirken so plötzlich entzogen. Ihm ist wohl geschehen; unser lieber Vater im Himmel hat wohlgethan und Ihrem lieben Gatten endlich geschenkt, was schon längst sein sehnlichster Wunsch gewesen war, er hat ihn von unserem ärmlichen Leben abberufen, um ihm den verdienten Lohn für sein thätiges, liebevolles Wirken zu verleihen. Nun hat er endlich die Ruhe gefunden, die er so sehr gewünscht hat. An seinem Grabe aber steht eine große Familie, die plötzlich so unbarmherzig ihres treuen Hauptes beraubt ist, für deren Wohl und Heil er sein ganzes Leben aufgeopfert hat. Am meisten werden Sie, meine liebe Frau Pfarrer, seine liebereiche ordnende Hand vermissen, die so einsichtsvoll und hülfreich alles Unangenehme, was etwa in einer großen Haushaltung vorkommt, überdeckte. Die lieben Kinder – erlauben Sie mir diesen Ausdruck, – verlieren einen herzguten Vater, der sie inbrünstig liebte und stets bereit war, ihre Schwächen mit dem Mantel der Liebe zu bedecken; nicht gerade Ein Vater wußte so gut den Ton der Kindheit zu treffen und die Kinder anzuregen, wie Ihr lieber Gatte selig. Nicht nur Sie mit Ihren lieben Kindern, die ganze Familie hat ihr Haupt verloren; wenn einer der Brüder eines guten Raths bedurfte, so kam er zu Ihrem l. Mann selig und gieng nie unverrichteter Dinge fort.
Aber nicht nur Ihre werthe Familie, ganz Basel hat einen guten Bürger verloren; die Nachbarn trauern um den Verlust eines guten Freundes; die Waisen und Armen haben ihren ehrlichen, wohlmeinenden Beschützer verloren. Ich selbst bin eines treuen und offenen Rathgebers beraubt, der in allen schwierigen Lagen stets den rechten Ausgang wußte. Ich sage Ihnen offen, ich habe schon viele Leute gekannt, aber so lieb wie Ihren werthen Gatten selig habe ich noch Niemanden gehabt; Niemand kann so uneigennützig und mild sein Urtheil und seine Meinung über etwas abgeben, als gerade er es verstand. Verzeihen Sie mir, daß ich nicht zum Begräbniß gekommen bin; es war mir nämlich unmöglich 3 Schulstunden zu versäumen, denn ich bin wegen Krankheit eines Lehrers an einer hiesigen Schule auf ein Vierteljahr angestellt. Dennoch nehme ich warmen Antheil an Ihrem Schicksal und muß immer wieder aufs Neue an Sie und Ihre werthe Familie denken. Die Wege des Herrn sind oft dunkel und wunderbar, aber er führet doch zuletzt Alles zu einem seligen, glücklichen Ende. „Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, des Herrn Name sei gelobt bis in Ewigkeit,“ müssen auch wir hier sagen, wenn wir uns auch gestehen, daß der Herr uns Allen hier einen schweren Schlag versetzt hat, den wir kaum zu ertragen vermögen. Fassen wir uns; es geht ja nicht mehr so lange. Der Herr unser Gott wird uns trösten und uns dereinst wieder zusammenführen, wenn wir nur Ihrem werthen Gatten in Allem nachstreben, besonders seiner christlichen Milde und Liebe.
Seien Sie meines und meiner Eltern innigster Theilnahme bei dieser schweren Heimsuchung versichert; wir fühlen, wie hart der Schlag für Ihre Familie ist und fürchten, daß er dieselbe vielleicht ganz auseinanderreißt und in die Welt hinaus zerstreut. Jedoch der liebe Gott, der uns eine solche Wunde geschlagen hat, wird sie auch wieder zu heilen verstehen und uns Alles zum Besten gereichen lassen. In diesem Glauben schließe ich meinen Brief. Grüßen Sie Ihre werthe Familie aufs herzlichste und seien Sie überzeugt, daß ich stets mit warmem Interesse an Sie Alle denke; auch meine Eltern tragen mir die wärmsten Beileidsbezeugungen auf. „Möge der Herr Sie bald wieder aufrichten,“ das
ist der sehnlichste Wunsch Ihres alten Hausfreundes
Wilhelm Fetscherin.