Fürsorge und Armenpflege

Einen grossen Teil seiner Pfarrertätigkeit in der Kirchgemeinde Binningen-Bottmingen muss Jonas Breitenstein auf die Fürsorge der mehrheitlich armen Bevölkerung aufwenden. Die tagebuchartigen Aufzeichnungen in den «Acta Ecclesiae Margarethanae» von 1852 bis 1856 weisen schon in den ersten vier Jahren seiner Amtszeit auf die enormen Anstrengungen hin, die Breitenstein unternimmt, um in verschiedenen Bereichen des täglichen Lebens durch neue Einrichtungen die Armut und Not zu lindern.

Die Bewohner der beiden Orte, besonders von Binningen, waren zur Hälfte die angestammten Bürger und zur Hälfte Personen aus den niedersten Schichten des Volkes aller Gegenden (Fabrikarbeiter, Taglöhner, Kaufhäusler und Handwerker), die nur wegen der Nähe der Stadt hier wohnten – eigentlich übernachteten – und tagsüber in der Stadt arbeiteten.

Breitenstein machte sich durch seine unerbittliche, korrekte Art bei einem Grossteil der Bewohner sofort Feinde und war, wie er selbst schreibt, am Anfang fast nicht des Lebens sicher, konnte sich aber im Laufe der Zeit meistens Achtung erwerben. Im Laufe seiner Amtszeit initiierte er manche soziale Einrichtungen, die der Bekämpfung der Armut und Not dienten: 1853 gründete er den lokalen Frauenverein und die Suppenküche und bewirkte 1854 als Schulpflegepräsident (!) den regelmässigen Schulbesuch der Kinder, sorgte 1855 für die Erweiterung der zu kleinen Schule und war im gleichen Jahr intensiv mit der Bekämpfung der Cholera als Organisator und Pfleger befasst sowie erfolgreich mit dem Austreiben der Prostitution. Das Problem der unbeaufsichtigten Kleinkinder arbeitender Eltern konnte er zunächst mit der Einrichtung einer Schulstube inmitten des Dorfes angehen und 1862 sogar mit dem Bau einer Kleinkinderschule abschliessend bewältigen.  

Schon damals war Breitenstein nicht nur als Seelsorger sondern gleichermassen als Armenpfleger in der Gemeinde, aber auch im Kanton, unterwegs. An der Jahresversammlung der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft in Liestal 1854 hielt er das Referat: « Über das Verhältniss und die Wirksamkeit der freiwilligen und der gesetzlichen Armenpflege.»

 

Die nachfolgenden Auszüge aus seinen Niederschriften (Acta Ecclesiae Margarethanae) wie aus Briefen (Jonas Breitenstein Nachlass, JBN) zeichnen ein eindrückliches Bild seiner totalen Hingabe bei der Bekämpfung der Not und Armut.

Armut

«Ein Hauptübel ist unter einer grossen Zahl unserer Gemeindeglieder der Pauperismus. Es wird viel verdient und viel verbraucht, und in Zeiten der Not haben sie nichts; und ich lernte viele kennen, die sich offener oder verborgener mit kommunistischen Gelüsten trugen und meinten, sie dürften wohl an dieser oder jener vornehmen Türe anklopfen, weil die Reichen auch etwas für sie tun müssten.

Ich schaffte gleich zu Anfang das Unwesen mit den Bettelbriefen ab, d.h. mit Bittschriften, von Pfarrern ausgestellt, mit welchen in der Hand ein geübter und der Verstellung fähiger Mensch, wenn freilich meist von augenblicklicher Not gedrungener, bald bei 50 und mehr Franken gesammelt hatte. Ich war am Anfang fast nicht des Lebens sicher. Es gab Tage, wo mehrere solcher Gesuche an mich ergingen, wo die frechsten mich förmlich zwingen wollten, ihrem Ansinnen zu entsprechen, aber auswichen, wenn die Rede über ihr Seelenheil und ihren häuslichen und inneren Frieden begann. Doch nach und nach wussten sie, wo sie daran waren, und dass ich zwar als Seelsorger, aber nicht als Geldsorger (vielleicht nur zu ihrem Schaden) da sei und sie kamen dennoch fort nach wie vor. Wo dringende Hülfe notwendig war in Krankheitsfällen und Verdienstlosigkeit, wo einer wirklichen Armut unter die Arme zu greifen die Liebe gebot, da half ich dagegen nach mit geschlossenen Briefen an verehrliche Wohltäter, die ihre Hülfe in solchen Fällen nie versagten, u. soviel ich vermochte, aus eigener Kasse und durch dringende Verwendung bei den Heimatgemeinden.»

«[…]   Der Winter nach diesem Fehljahre brachte wieder neue schwere Sorgen, aber auch neue Durchhülfe des Herrn. Es riefen viele nach Brot. Als mir durch die Güte der Herren Von der Mühll zu St. Margarethen 200 frs. zur Verteilung unter die Armen (wie schon das Jahr zuvor) waren zugestellt worden und dies ruchbar wurde (obgleich ich es gerne verschwiegen hätte), war ich des Lebens nicht mehr sicher und wurde täglich im eigentlichen Sinne des Wortes bestürmt u. belagert. Ich hatte mir vorgenommen, das Geld aufzuheben und am rechten Ort und zu rechter Zeit mit gehöriger Musse und Umsicht zu verwenden, wie es mir am nötigsten schien. Allein ich ward, um des edlen Gebers willen schon genötigt, die Sache gleich so gut und so gewissenhaft als möglich zu verteilen, wobei [ich] natürlich es doch nicht allen recht machen konnte und viel Kummer, auch viel Verdruss und Schande hatte. Öffentliches Almosengeben, besonders in dieser Art, ist ein Übel und weckt nur die Begierde und jenes sündhafte Messen u. Vergleichen, das dem Geize dient, und hat keinen Segen. Das weiss ich aus Erfahrung.»

von L. Müller, unbekannter Bittsteller (JBN) den 13t Herbstmonat 1853.

Hochgeachteter Herr Pfarrer.

Würden Sie die Güte haben und mir heute nur für kurze Zeit 5 fr. reichen. Genöthigt eine unerwartete Ausgabe zu bestreiten die unmöglich ist, wenn Sie Ihre Hülfe dazu mir verweigern würden.

Indem ich Sie innigst bitte mir zu verzeihen grüße ich Sie
Hochachtungsvoll
L Müller.

Gründung des Frauenvereins

[…] «Erfreulich war die Anregung, die von einigen Frauen ausging, ich möchte sie zu einem Frauenverein sammeln. Ich entsprach dem Wunsche, lud die Frauen und Jungfrauen Binningens ein zu einer Besprechung im Schulhaus. Am 6. Februar 1853 besammelten sich ca. 70 Frauen und Jungfrauen im Schulhaus und traten dem Verein bei. Die Mitglieder mussten alljährlich eine Steuer nach ihrem Belieben und Vermögen bezahlen und einige Gaben zu einer Verlosung bereit halten. Der Zweck war zunächst der, dass man armen Kindern (Mädchen) in der Arbeitsschule Stoff (Tuch und Baumwolle) verabreichte, den sie verarbeiten sollten und für jede gemachte Arbeit einen entsprechenden Lohn erhielten. So hoffte man, sie nicht nur zur Schule anzuhalten, sondern auch die Liebe zur Arbeitsamkeit in ihnen zu pflanzen. Seitdem verdienten auch wirklich die armen Kinder manchen schönen Batzen Geld u. [es] gingen bald Strümpfe und Hemden in Masse ein. Auch hatte man den Zweck, arme Kinder, die aus Kleidermangel nicht die Kirche und Schule besuchen können, zu kleiden. Ich sammelte bei den Wohlhabenden Garn ein, bei dem ein Stränglein, bei jenem ein Stränglein, kaufte aus der Kasse Baumwolle und liess aus dem Garn und der Baumwolle einen starken nützlichen Gris weben. Wir erhielten so viel, dass wir die notdürftigsten Kinder, 16 an der Zahl, damit bekleiden konnten. Natürlich hielt da die Auswahl oft schwer, indem wieder andere, vielleicht ebenso bedürftige, nicht konnten bedacht werden.

Gründung einer Suppenküche

«[…] Das Jahr 1853 war wieder ein unfruchtbares, regnerisches Jahr, und infolge einer Missernte des Getreides und der Kartoffeln stiegen die Lebensmittel zu hohen Preisen. Die Not unter den Armen war gross, da selbst Bauern, die sonst auch verkauften, nun ihr Brot kaufen mussten.

Als die Not immer mehr wuchs und die Armen anfingen, zur schlechtesten Nahrung zu greifen, und froh waren, wenn sie ein paar Rüben abkochen konnten, ermunterte ich den Gemeinderat zur Gründung einer Suppenanstalt. Aus vielfachen Gründen schlug ich vor, dass die Portion Suppe mit wenigstens 5 Centimes bezahlt werden müsste (nachdem sie uns auf 10–12 cts. zu stehen kam). Endlich zeigte sich der Gemeinderat willig, und im Februar 1854 fingen wir in meinem Waschhaus an, Suppe zu kochen. (Diese bestand aus Reis, Erbsen, Kartoffeln, Fleisch und Brot nebst Butter, Zwiebeln u. dgl. und war sehr schmackhaft und nahrhaft.) Ich kaufte gleich einen Sack Reis, einige Säcke Erdäpfel u.s.f. und führte darüber Rechnung. Ebenso wog ich alle Tage das Brot, Fleisch, Butter, den Reis, die Erbsen und Kartoffeln ab, die gebraucht werden sollten. Die Suppe wurde täglich gekocht und wir brauchten täglich an 100 und mehr Portionen (die Portion war ½ Mass, und hatte ein mässiger Mensch genug daran zu essen).

Mit dem Zahlen ging‘s aber schlimm. Die stillen Armen genossen die Sache als eine Wohltat und bezahlten gerne. Die Hälfte aber, ein unverschämtes Gesindel, räsonnierte wegen des Zahlens und schimpfte im Dorfe, als ob man Profit an ihnen machen wollte. Doch getrauten sie mir solches nicht zu sagen, indem ich die, denen diese Suppe zu gering war, als Undankbare verabschiedete und gehen liess mit dem Verdeuten, dass es uns ja lieb sei, wenn sie ohne unser Bemühen durchkommen könnten.»

Mangelhafter Schulbesuch

«[…] Mit dem Schulbesuch ist es eine üble Sache. Nach dem Gesetze sollen alle, welche die Schule ohne Entschuldigung versäumten, verzeigt, die Eltern vor die Schulpflege geladen und dem Gericht zur Bestrafung überwiesen werden. Da kommen bisweilen in einer Sitzung bis 20 und mehr strafbare Eltern vor, meistens von den Bedürftigsten, die oft nicht so recht aus Not als vielmehr aus Trotz ihre Kinder nicht zur Schule schicken wollen. Eine Hausmutter, die wenig von Ordnung weiss, sagte mir, ihr Marie könne genug, es brauche nicht mehr zu wissen denn sie. – Man habe es vor Zeiten auch ohne Schule gemacht, das Essen sei die Hauptsache, die Kinder müssten verdienen gehen, erklärte ein anderer, der, um besser comfort leben und sich pflegen zu können, seinen hoffnungsvollen Knaben der Schule entzieht und in der Tabakfabrik dahinsiechen lässt. Bevor die Kinder das zwölfte Altersjahr erreicht haben, wollen die Eltern sie in die Fabriken schicken, wo sie nicht nur die Gesundheit des Leibes einbüssen, sondern auch bei mechanischer, geistertötender Arbeit, bei lockerem Umgang, verführerischen Reden, ohne Aufsicht, Schaden nehmen an ihrer Seele. Was soll aus diesem Geschlechte werden, dem von Jugend auf aller solide Grund und Boden unter den Füssen weggezogen, alles Hohe und Heilige geraubt wird und wo 13-jährige Knaben und Mädchen von bösen Dingen mehr wissen (selbst tun!), als den Erwachsenen zu wissen gebühret. An den Lippen ihrer Verführer hangen ihre Blicke mit eifriger Begier, dem milden und ernsten Worte Gottes aus des Lehrers Munde begegnen sie mit verhaltenem Trotz. Doch gibt es hier manche schöne Ausnahmen, und dass im äusseren Umgang die meisten Arbeiter anständiger und z.T. auch verständiger und weitherziger sich benehmen als viele Bauersleute, möchte ich nicht leugnen. Der Glaser Hans, ein Mann von altem Schrot und Korn, bibelfest und gesetzesstreng, musste selbst seinen Hausleuten das Lob erteilen, ‒sie seien sozusagen viel manierlicher als unsereiner.»

Cholera 1855

«[…] Nachdem am 25. Juli dieses Jahrs ein ziemlich heftiges Erdbeben unsere Gegend heimgesucht, brach einige Tage darauf in der Stadt und noch vor Ende des Monats auch bei uns die Cholera aus. Es war das erste Mal, dass diese schreckliche Krankheit, welche mit so heftigen Schmerzen begleitet ist, welche so im Finstern schleichet und am Mittag verderbet, welche in wenig Stunden den Gesundesten tötet, in unsere Gegend kam. Der Schrecken und die Bestürzung waren überaus gross, besonders als man das Schmerzgeschrei einzelner Kranker mehrere Häuser weit hörte. Die Krankheit forderte als das erste Opfer den Meister Schweighauser, Ziegler, und wenige Tage darauf seine Frau, die in 5 Stunden gesund und tot war. Da sein Haus am Weg an der [sic] Birsig liegt und als die Krankheit von dort die Häuser oben daran weiter zog bis in die Nähe des Pfarrhauses, so schien es, als ob das Gewässer einen Einfluss auf die Krankheit hätte. Aber plötzlich wandte sich der unheimliche Gast hinweg und wütete drunten im Dorf, unten anfangend.

Es gab alle Tage einige neue Erkrankungen und fast jeden Tag einen Todesfall. Bei der Überfüllung vieler Häuser mit Menschen war das Schlimmste zu befürchten. Ich traf in einem Hause in einem Zimmerchen, das kaum Platz hatte für ein Bett und für ein Tischchen, in diesem einen Bette zwei Kranke an, die miteinander dort gestorben sind. Das Miasma in jenem Zimmer war so stark, dass auch der Arzt sich fürchtete, hineinzugehen. Dieser Arzt, Herr Dr. Gelpke von Allschwil, der Tag und Nacht helfend hier weilte, verdient alles Lob. Damit die Toten, von denen am meisten die Ansteckung ausgeht, nicht zu lange in den Häusern liegen blieben, errichteten wir auf dem Gottesacker aus Brettern ein Totenhäuschen, wohin, sobald der Sarg gefertiget war, die Toten getragen wurden und vor der Beerdigung liegen blieben. Mit Chlorkalk wurde das Häuschen so viel möglich desinfiziert.

Nachdem ein Versuch, uns mit dem Cholera-Spital Basel in Verbindung zu setzen, misslungen war und nur am Anfang der Krankheit einige unserer Kranken dort Aufnahme gefunden hatten, gab ich mir alle Mühe, hier selbst ein provisorisches Spital für unsere vielen Leute, die als Dienstboten, Arbeiter etc. hier waren, und weder ein rechtes Logis noch eigene Bauten haben, so gut es sich tun liess, herzurichten. Kam ich doch einmal in den Fall, auf einem Estrich ohne Fenster, der mit der ‹Oberte› der Scheune in Verbindung steht, einen Kranken mitsamt dem Bette hin und her zu schieben, bis ich in einer Ecke aus alten dort herum liegenden Tüchern, die ich oben an dem Balken befestigte und die die Wände bilden mussten, eine Art von Krankenzimmer herrichten konnte. – Aber ich kam trotz aller Bemühung zu keinem Ziel, hauptsächlich darum nicht, weil niemand ein Logis dazu hergeben wollte. (In meinem eigenen Hause war die Magd aus Ekel vor der Krankheit auch krank geworden.)

Der Eindruck, den der Herr mit dieser Heimsuchung auf die Gemüter der Erwachsenen machte, war ein tiefer. Viele kehrten ernstlich bei sich selber ein und alle schienen sehr empfänglich zu sein für die Mahnungen und Tröstungen des Wortes Gottes. Die Seuche forderte 26 Opfer von jedem Alter und Stand. Wunderbarerweise war in Bottmingen nicht ein Einziger krank. Gegen Ende September hörte sie wieder auf.»

Bekämpfung der Prostitution

«[…] In diesem Jahr, dem Jahr 1855, drohte mehr und mehr ein ungünstiges Wesen einzureissen im Dorfe. Verdächtige Weibspersonen hielten sich in diesem und jenem Hause auf, es hatten sogar Herren von Basel hier ihre Mätressen versorgt. Die Polizei tat, was sie konnte, reichte aber nicht überall aus. Als ich vergeblich da u. dort gewarnt, auch eine ernste Predigt in dieser Angelegenheit über 1 Cor. 5,6 ff. gehalten hatte, nahm ich zu einem anderen Mittel die Zuflucht. Ich liess durch den Gemeindepräsidenten eine gebotene Gemeinde halten, die sehr zahlreich besucht war, und erschien (gegen meine sonstige Übung) selber auch daran. Ich ergriff das Wort, zeichnete mit scharfen Worten die faulen Zustände, fragte nicht ohne Ironie, ob sie wegen ein paar Batzen Hauszins solche Schande u. solchen Schimpf auf sich, ihre unschuldigen Weiber und Töchter laden wollten, ob sie es mitansehen könnten, dass ihre Kinder durch schlechtes Beispiel verführt werden etc., und brachte dann bestimmte Vorschläge, wie dem Übel abzuhelfen sei. Diese gingen ungefähr dahin, dass die Gemeinde beschlösse: 1.) alle eigenen Bürger u. Bürgerinnen, die sich schuldig machen, mit Einsperrung bei Wasser u. Brot zu bestrafen, 2.) alle dito Auswärtigen sofort auszuweisen, 3.) alle Hauseigentümer, die Ungebührliches in ihrem Hause dulden, nach fruchtloser Verwarnung mit 50 u. mehr Frs. Busse in die Armenkasse zu belegen, etc.

Das schlug durch. Allgemeine Aufregung! Die Beschlüsse wurden angenommen, die liederlichen Dirnen hinausgestäukt, andere gingen von selbst, da sie dem Wetter nicht trauten. – Als wir aber unsere Beschlüsse der Regierung zur Sanktionierung unterbreiteten, wurden sie sämtlich gestrichen; wir sollten uns, hiess es, an die bestehenden Gesetze halten (die uns ziemlich ratlos lassen). Wir waren ganz niedergeschlagen. Anonyme Drohbriefe triumphierten über mich. Doch behielt die Sache ihre Wirkung. Dem Unwesen war gesteuert, man war mehr auf der Hut, und die Regierung sah sich später auch durch Vorgänge an anderen Orten genötigt, einzelne den unsrigen ähnliche Beschlüsse für den ganzen Kanton zu fassen und zum Gesetz zu erheben, z.B. die Strafe für die, welche herumziehenden Dirnen Aufenthalt geben.»

Fürsorge

Verzeichniss der mir zu Wolthätigen unterstützung anvertrauten Gelder. Nebst Angaben von deren Verwendung. Von Januar 1856 an.#Nachlass von JB im Dicher- und Stadtmuseum Liestal.

Verzeichniss über Geldspenden.#Nachlass von JB im Dicher- und Stadtmuseum Liestal.

von Kaspar Lüssy, Schneider (JBN) Basel den 10ten Novbr. 1853.

An das Tit. Pfarr-Amt in Binningen.

Wohlehrwürd’ger Herr!

In Folge heute in Liestal erhaltener Weisung in Sache des ausserehelichen Knäbleins der Salomea Spinnler von Selbisberg, Namens Johannes, nimmt Unterzeichneter die Freiheit Behufs zweckmäßiger Versorgung dieses Kindes, das nun beinahe drei Jahre alt ist, Ihnen gegenwärtige Zuschrift zu übermitteln. Seit der Geburt dieses Kindes ist dasselbe, da seine Mutter zu dessen Erhaltung und bessern Erziehung unfähig ist, auf Kosten der Gemeinde Selbisberg daselbst verpflegt worden, obgleich dieselbe nur für dessen Nahrung und in Krankheitsfällen zu sorgen hat, und woselbst das Kind ziemlich angemessen verpflegt und behandelt wurde. Aber ein billigeres Kostgeld entrichten zu müssen, wurde das Kind nach zurückgelegtem ersten Altersjahr, wie üblich, steigerungsweise an den Wenigstnehmenden in Kost gegeben, wodurch dasselbe in solche Hände gerathen, in denen es an Seele und Leib gänzlich zu Grunde gerichtet würde, wenn nicht noch zeitlich anderwärts für dessen besseres Unterkommen gesorgt wird.

Es ist zwar heute an der Conferenz [des Armenerziehungsvereins] in Liestal über diese Angelegenheit gesprochen worden, wie Ihnen, W. E. Würd’ger Herr, bekannt seyn wird, allein es gebrach mir an Zeit um der desfallsigen Verhandlung auszuwarten und so erlaube ich mir, Ihnen hiemit diese Sache schriftlich in gefällige Erinnerung zu bringen, mit dem höflichen aber dringenden Ersuchen, gütigst dafür sorgen zu wollen, daß durch die betreffende Behörde die erforderlichen Vorkehrungen zur möglichst schleunigen Beseitigung dieses Uebelstandes getroffen werden. Indeme schließlich um gütige Entschuldigung dieser Belästigung wegen bitte, gewärtige ich ein beförderliches erfreuendes Resultat und zeichne indessen mit gebührender Achtung

Ihr Ergebenster
Kaspr. Lüßy

Adresse: Kaspr. Lüßy in No 303 St. Petersplatzgäßl.

von R. Merian Basel im Juli 1856.

Geehrter Herr!

Für Ihre gefällige Auskunft über die Familie Dettwiler, spreche ich Ihnen meinen besten Dank aus. Die Leute sind seitdem nie mehr gekommen, noch haben sie das Kind zu mir geschickt. – Da mir aber bekannt ist wie viel Arme in Ihrer Gemeinde wohnen, und Ihnen, die wahrhaft Bedürftigen, am besten bekannt sind – so möchte ich Ihnen, inliegend gerne zur Unterst.ung derselben, eine bescheidene Gabe zugehen laßen. Möge der Herr es geben, daß durch die äußre Noth viele Herzen nach Ihm, u. seinen ewigen Heilsgütern fragen u. verlangen lernen! – Möge Er, Sie, geehrter Herr Pfarrer, und Ihre Gemeinde segnen mit seinem geistigen Segen, in himmlischen Gütern! –

R. Merian.

 

Planung und Bau der Kleinkinderschule
Auszug aus dem Protokoll des Binninger Gemeinderats vom 11. August 1860

Herr Pfarrer Breitenstein legt zwei Pläne vor, wie der Landjägerposten zu einer Kleinkinderschule möchte umgewandelt werden.
// Sei einstweilen noch abzuwarten; vielleicht, daß sich ein schicklicheres Lokal zeigt.

Der Gemeindeschb. Benj. Nägelin

Auszüge aus den Protokollen der Binninger Gemeinderatsitzungen vom 3. Februar und 17. Februar 1861

Herr Pfarrer Breitenstein als Präsident des Frauenvereins legt einen Bauplan vor zur Errichtung eines Gebäudes für die Kleinkinderschule. Die Gemeinde hätte sich dabei zu betheiligen und dann erfüllt sie das Recht dieses Gebäude später für eine dritte Schule einzurichten.

// Sei diese Angelegenheit in einer besondern Sitzung zu besprechen.

Herr Pfarrer Breitenstein legt ein Schreiben vor, worin der löb. Frauenverein sich erklärt, daß er die erste Offerte in Sachen des Baues eines Gebäudes für die Kleinkinderschule wieder zurück ziehe, und daß der Verein gesonnen sei auf seinen Namen zu bauen. Der Verein verlangt blos Schenkung eines Bauplatzes. (beim Schulhaus) –

// Der Gemeinderath könne von sich aus keine bestimmte Antwort geben; die Sache soll bei der Gemeindeversammlung befürwortet werden. Jedoch immer unter dem Vorbehalt, daß die Gemeinde späther das Recht hat, das Gebäude für eine allfällige dritte Schule einzurichten.

Der Gemeindeschb. Benj. Nägelin

an die Finanzdirektion Baselland Binningen, den 14. Februar 1862

Hochgeachteter Herr Direktor,

Seit sechs Jahren besteht in unserem Orte eine Kleinkinderschule, die um der örtlichen Verhältnisse willen, wo so viele Eltern ihre Kinder fast ohne alle Aufsicht sich selber überlassen müssen, um dem Verdienst nachzugehen, so sehr zum Bedürfniß geworden ist, daß sie jetzt schon über 70 Kinder zählt und deren noch mehr zählen würde, wenn es nicht an entsprechendem Raum gebräche.

Da sich nun in der ganzen Gemeinde kein passendes Local für diese Schule findet, worin die Kinder bei genug Luft und Licht sich gehörig verthun könnten und da es überhaupt mißlich ist, mit einer Schule zu Miethe sein und bald hieher und bald dorthin ziehen zu müssen für Fr. 200.– Hauszins, da sich endlich die Gelegenheit gefunden hat, einen sehr schönen Bauplatz mitten im Dorfe mit gehörigem freien Raum zu einem Spielplatze, ganz wie wir ihn wünschen zu kaufen, so entschloß sich der Frauenverein, an den Bau eines Kleinkinderschulhauses zu gehen, und zwar ohne der Gemeinde, die bisher sonst schon sozial in Anspruch genommen ist, die Übernahme des Baus zuzumuthen.

Es mußte daher darauf gedacht werden, auf welche Weise der Frauenverein den Bau übernehmen und bestreiten könnte. Die besondern örtlichen Verhältnisse ermöglichten und erleichterten die Ausführung, da auszuleihende Logis hierorts fast so theuer bezahlt werden als in der Stadt und ein sehr bescheidenes Logis mit zwei Stuben, Nebenstube und Küche selbst in dieser knappen Zeit noch mit 45 bis 50 frs pro Quartal bezahlt wird. Auf diese Verhältnisse gründeten wir unsern Plan. Das Haus würde so eingerichtet, daß ausser einem geräumigen Schulsaal und einer bescheidenen Lehrerinnenwohnung im Erdgeschoß, in den obern Etagen noch 4 Logis mit je Stube, Nebenstube, Platz im Keller, Estrich und einer Laube zum Ausleihen hergerichtet würden. Aus dem Ertrag dieser Logis und den sonstigen Einnahmen unseres Vereins, die wir bis jetzt zu einem großen Theile für Hausmiethe verwenden mußten, gedachten wir den Zins für das aufzunehmende Baukapital und die ratenweise Tilgung desselben durch Raten von je 500 frs per Jahr zu bestreiten.

Es haben sich nun zu diesem Zwecke 23 achtbare Männer, Bürger und Einwohner von Binningen zusammengethan, um den Frauenverein zu unterstützen. Es verpflichteten sich dieselben, alle durch Namensunterschrift, als Bürgen für das aufzunehmende Baukapital einstehen zu wollen, und werden dieses Versprechen auch halten. Diese Bürgschaft würde sich vorderhand auf circa 4000 Franken beziehen, die wir zu Beginne des Baues aufzunehmen genöthigt sein werden. Nach Vollendung des Baues wünschten wir auf Hypothek des Hauses und Platzes (der etwas weniger als einen Viertel beträgt) und auf Bürgschaft noch weitere circa 8000 Franken aufzunehmen, am liebsten so, daß wir die ganze Summe von 12 000 Franken, wenn auch zu verschiedenen Malen, wie es den Creditoren möglich sein wird und wir es bedürfen, an einem Orte auf Untersatz und Bürgschaft aufnähmen, und, wie oben angedeutet worden, ratenweise mit je 500 frs jährlich wenigstens solange abbezahlten, bis das Haus genügende Sicherheit darböte und die Bürgen von der Bürgschaft entlassen werden könnten. Es versteht sich dabei von selbst, daß wir gerne jedes andere Arrangement, sofern es im Wunsche des Creditors läge und uns möglich wäre, uns ebenfalls gefallen ließen.

Wir wenden uns nun, hochgeachteter Herr Direktor! mit der Frage und Bitte an Sie, ob Sie uns nicht die Summe von 12 000 Franken theilweise oder am liebsten ganz, wenn auch in verschiedenen Theilen auf oben angegebene Sicherheiten und unter den oben bemerkten oder ähnlichen Bedingungen aus Ihrem Fiskus leihen könnten. Wir thun es mit dem guten Vertrauen, daß Sie gewiß gerne, sofern es in Ihren Kräften steht, unsere gute Sache durch Ihren Beistand fördern werden. Wir erlauben uns auch, Ihnen eine Anzahl von den Männern zu nennen, die sich zur Leistung der Bürgschaft erklärt haben. Es ist dieß erstlich die Baucommission, bestehend aus den Mitgliedern:

Herr Präsident Abt
„       Friedensrichter und Gemeinderath Th. Freitag
„       Altgemeinderath Frd. Glaser, gegenüber dem Bären
„       Alexander Riggenbach, Schreiner, und
„       J. Breitenstein, Pfarrer.

Es zählen ferner dazu die Herren Gemeinderäthe:

Herr Heinrich Glaser         Herr Joseph Birsinger
„       Friedrich Fren            „     Jakob Fünfschilling

ferner: Herr Ulrich Riggenbach
            „      Jörin, Thierarzt
            „      Matth. Glaser im Holee
            „      Lehrer Nägelin
            „      Lehrer Seiler
            „      Schneider-Glaser u.s.f.

welche gewiß fast durchweg, sowohl was die Leistungsfähigkeit als auch den Charakter betrifft zu den solidesten Männern hiesiger Gemeinde zählen.

Wollen Sie nun gütigst, hochgeachteter Herr Direktor! diese unsere Anfrage und Bitte in Erwägung ziehen, uns wo möglich entsprechen und uns wo möglich bald Ihren Entschluß in dieser Sache wissen lassen? Wir versprechern Ihnen, ensprechenden Falles, allen Verpflichtungen gewissenhaft nachkommen zu wollen. Genehmigen Sie auch die Versicherung unserer vollkommensten Hochachtung mit welcher verharrt

Namens der Baucommission Ihr ergebener
J. Breitenstein, Pfr.

Anmerkung von Jonas Breitenstein:

Regierungsrat Daniel Bieder brachte am 27. Februar das Gesuch unter ausdrücklicher Empfehlung vor die Regierung. Diese entsprach demselben am 12. April. Am 20. Juli 1862 wurde die erste, am 21. August die zweite, am 6. Oktober von Seiten der Staatskasse die 3. Zahlung, jeweilen Fr. 4000 geleistet und zwar aus dem Fond für höhere Lehranstalten. Um dieselbe Zeit war der Kleinkinderschulhausbau unter Dach. Als Bürgen wurden, ausser den oben aufgeführten Männern, in der Schuldverpflichtung nachfolgende Bürger und Einwohner Binningens aufgeführt: Johannes Glaser im Holee; Friedrich Engler, Sohn; Joseph Seifert; Jakob Vogt; Herr Samuel Glaser; Achilles Parmentier; Emanuel Engler; Johannes Latscha; Rudolf Heinrich Meili, Bildhauer; Joh. Jakob Fren, Gemeindecassier; Rudolf Mori, Gemeinderath; Samuel Lüdin, Vater; J. Martin, Arzt; Rudolf Fünfschilling, Schuster; Johannes Kellerhals, Heinrich Schneider-Abt.

Gott segne das Werk!

von Heinrich Breitenstein an seinen Sohn Jonas vom 17. Februar 1862

(Auszug)

[…] «Wir freuten uns sehr, aus Deinem Briefe zu vernehmen, daß es bei Euch so ziemlich gut gehe, die mancherlei Kreuzlein u. Kummer müssen auch zu unserm Beßten dienen, und gut [ist] es, daß Alles vorüber geht. Am Schlusse Deines Briefes erwähnst Du noch einer Sitzung, der Commission einer freiwillig zusammengetretenen Gesellschaft zur Erbauung einer Kleinkinderschule, in welchem Ding auch Du sein müssest. So schön u. löbl. ein solches Bestreben auch ist, so möchten wir Dich doch warnen, Dich nicht allzusehr in dieses Unternehmen einzulassen, wo dann der Hauptsache nach Alles nur auf Dir lastet, und wo Du am Ende noch abermals solche Unannehmlichkeiten durchzumachen hättest, wie seiner Zeit beim dortigen Schulhausbau. Kannst Du bei dieser Sache rathend u. helfend mitwirken, so ist es wohl schön u. gut, nur solltest Du nicht selbst die Haupttriebfeder dieses Unternehmens sein. Ich muß jedoch bitten, uns unsere Bemerkungen hierüber nicht übel zu deuten oder gar übel aufzunehmen. Wir sind Gott Lob Alle gesund u. wohl, und wünschen auch Euch Allen fortwährend dasselbe.

Indem ich nun hiemit schließe, grüßen Euch Alle herzlich alle die l. Eurigen
Breitenstein Vater»

an die Eltern vom 2. Dezember 1862

(Auszug)

«[…] Letzthin feierten wir ein fröhliches Dorffest, das Kleinkinderschulhaus, das sehr wohl gelungen und bereits vollendet ist, wurde eingeweiht, wobei ich von A bis Z Alles einladen und ordnen mußte. Es gieng aber scharmant und zur allgemeinsten Befriedigung. Zuerst war Nachmittags um 2 Uhr die Feier der Einweihung. Im feierlichen Zuge zogen zuerst wir Mannen à zwei und zwei, sodann die Frauen und Jungfern des Frauenvereins in die festlich geschmückte Schulstube und stellten sich. Man sang zuerst „Allein Gott in der Höh.“ – Dann hielt ich ein Gebet, dankend für das Entstehen und herrliche Gelingen des schwierigen Unternehmens und das Haus und die aus und eingehen der Obhut Gottes empfehlend u. s. f. Dann sprach ich einige Worte von der Bedeutung des Tages zu den Versammelten und darauf sang der gemischte Chor lieblich das Lied: Die Sach ist dein, Herr Jesu Christ etc. Dann traten die Kleinkinderschüler, 80 an der Zahl, die in langem Zuge aus ihrem früheren Lokal gezogen waren, ein und nahmen in ihren Bänklein Platz. Sie sagten einige Sprüchlein, sangen, sanft von den Großen begleitet, ein Liedlein, dann sprach ich ein paar Worte zu ihnen und zum Schluß sangen Alle: Nun danket Alle Gott. –

Holztafel der Kleinkinderschule ‹Haus zum Bienenkorb› von 1862.#Ortsmuseum Binningen.

Ehemalige Kleinkinderschule Binningen, Eingang Kronengasse 368, 1899.

Dann folgte aber der zweite Act. Zuerst wurden in der Schulstube die Kinder mit Gugelhopf, Kaffee, Schenkelein u.s.f. bewirthet von den Frauen, während die Männer sich hier eine Stunde entfernten. Nachdem sich die Kinder entfernt hatten, tranken die Frauen gemüthlich zusammen den Kaffee und Gugelhopf und Schenkelein zur Genüge. – Und dann versammelte sich die ganze Gesellschaft sammt den Bauleuten Männer und Frauen zusammen 80–100 wieder im Schulhaus und füllten die Männer zwei und die Frauen zwei Tische, gedeckt wie zu einer Hochzeit und einige Frauen, die das Wirthschaftscomite bildeten warteten auf. Voressen, Bratwürste, Braten und Salat, Torten etc. und am lieben Wein fehlte es auch nicht, fast jeder der Männer, die Wein im Keller haben, sandte auch seine Kruse oder brachte sie vielmehr mit. Es entfaltete sich die heiterste Fröhlichkeit und doch ging Alles mit Anstand zu. Der Strom des Gesangs ergoß sich unaufhörlich und an manchem Scherz, worin sich das aufgeweckte heitere Naturell unserer Unterländler zeigte, fehlte es auch nicht. Die Frauen hatten das Essen zusammen besorgt.

Glücklicherweise ist der Bau besser gelungen als ich gedacht hätte, worüber ich natürlich sehr froh bin, weil ich den Plan bis ins Detail entworfen und ausgearbeitet habe, und also ganz besonders hätte Schuld sein müssen, wenn es böse heraus gekommen wäre. Die Schatzungsmänner, die heute das Haus geschätzt haben, schätzten es auf 18 000 Franken Werth während es uns etwas zu 14 000 gekommen ist, wozu der Präsident vergnügt lachen mochte. – Wir gingen dann natürlich nicht ganz ein auf die Summe und begnügten uns mit 16 000 Franken. Die Logis sind ausgemiethet für einen jährlichen Zins von 860 Franken, in eines davon kommt wahrscheinlich Karls Schwager, Herr Strübin.»

Danksagung, 7. Februar 1865

Der Unterzeichnete fühlt sich gedrungen, Ihnen auf diesem Wege den innigsten Dank für Ihre so freundliche Betheiligung an unserem Bazar auszusprechen.

Wir waren so glücklich, an demselben nahezu 1100 Franken zu erlösen, wozu noch 64 Franken in Baar kommen, die aus Basel und der hiesigen Gemeinde eingegangen sind. Die dabei gehabten Auslagen werden nur ein Geringes betragen.

Da es Sie vielleicht interessirt zu wissen, wozu nun diese Beisteuer verwendet werden soll, so diene Ihnen nur kurz Folgendes zur Kenntniß: Schon seit Anfang 1853 besteht hier unter der Leitung des Unterzeichneten ein Frauenverein, der sich anfänglich blos die Hebung der Arbeitsschule durch Verabreichung von Arbeitsstoff und kleinen Arbeitslöhnen an arme Kinder zur Aufgabe gemacht hatte und nebenbei entblöste Kinder mit Kleidern versah. Im Frühjahr 1856 gründete dieser Verein eine Kleinkinderschule und erhielt sie bisher ganz aus eigenen Mitteln. Es geschah dieß hauptsächlich zu Gunsten solcher Familien, wo Vater und Mutter den ganzen Tag ihrem Verdienste und ihrer Arbeit nachgehen und ihre Kinder ohne gehörige Aufsicht daheim lassen müssen. Diese Schule wurde gleich Anfangs von 30, bald von 40, 50, zuletzt von circa 80 Kindern besucht und war also ein Bedürfniß gewesen.

Von Anfang an aber hatten wir große Verlegenheiten wegen eines passenden Lokals, indem die Logis, die hier ausgeliehen werden, sehr klein sind. Wir mußten uns oft mit kleinen dumpfen Stuben behelfen und gleichwohl mehrmals ausziehen, einmal sogar die Schule längere Zeit einstellen. Da entschlossen sich endlich am Neujahr 1862 unser 30 Männer zusammenzustehen und mit Gottes Hülfe dem Frauenverein resp. der Kleinkinderschule ein Haus zu bauen. Wir leisteten solidarisch Bürgschaft für das aufzunehmende Baukapital, und Jeder legte mit Eifer selbst Hand an das Werk, das dann auch so wohl gelang, daß schon im Winter 1862/63 die Schule im neuen Hause gehalten werden konnte. An die sämmtlichen Baukosten, die – den Bauplatz inbegriffen – 16,201 Franken 86 Cts. betrugen, sowie an die, bis das Haus sich selbst verzinsen konnte, zu 240 Franken 69 Cts. aufgelaufenen Zinse und andere Unkosten konnten wir 742 Franken 55 Cts. aus unserer Kasse baar bezahlen, an die übrigen 15,700 Franken wurden uns 2000 Franken von einem edlen Freunde unserer Gemeinde und Anstalt auf einige Jahre unverzinslich vorgestreckt und 500 Franken von Mitgliedern darlehensweise zusammengelegt. Die übrige Schuld von 13,200 Franken, die auf Hypothek und Bürgschaft aufgenommen werden konnten, verzinsen wir einstweilen noch zu 4% und haben uns zugleich verpflichtet, dieselbe durch jährliche Raten von 500 Franken zu amortisiren, bis keine Bürgschaft mehr nöthig sein wird. Bereits haben wir die Raten pr. 1863 und 1864 mit 1000 Franken abbezahlt, und durch den schönen Ertrag des Bazars wird es uns möglich sein, auch die von den Mitgliedern vorgestreckten 500 Franken zurückzubezahlen, so daß nun unsere ganze Schuld sich nur noch auf 14,200 Franken belaufen wird, welche wir mit der Hülfe Gottes, der uns bisher so treulich geholfen, auch ferner hoffen bestreiten zu können.

Aus diesen kurzen Andeutungen mögen Sie ersehen, welche Wohlthat Sie uns erwiesen haben und es uns zu gut halten, daß wir Ihnen auf diesem Wege unsere Dankbarkeit bezeugen. Möge der HErr Sie für Ihre Liebe segnen!

Mit aller Hochachtung verharrt Ihr Ergebener
J. Breitenstein, Pfr.

Binningen, den 7. Februar 1865.

Jahresrückblick (aus den Handschriften im Nachlass)

1862 Eines meiner bewegtesten Jahre

Neujahrsmorgen d. Präsident Abt kündigt mir an, er habe um 1070 Franken auf meinen Namen an der Seiffertschen Gant einen Bauplaz zu einer Kleinkinderschule gekauft – unerwartet u. ich weiß noch nicht ob u. wie das Werk hinausführen. Groß Noth! Neujahrsabend die Magd, während die Frau im Kindbett liegt geht gegen Verbot zum Tanz, kehrt grob am andern Morgen heim, bündelt auf u. davon.

Dies seqq. Die Frau bedenklich krank Kindbettfieber tritt ein, woran damals Viele sterben – fatale Mägdegeschichten dazwischen!! Der Januar mit großen Sorgen vorüber mit Gottes Hülfe Besserung der Frau.

Februar 11. Ein neuer Sturm, der mir mehr macht als alle andern bin selber gemüthskrank. Dies seqq. Arbeite alle übrige Zeit oft bis Nachts zwei Uhr an Plänen für eine Kleinkinderschule, Organisation einer Baugesellschaft. Sitzungen über Sitzungen u. Berathungen wegen des Baues etc. viele u. große Mühe, doch mit Freude. Wieder Mägdegeschichten.

März Fortsetzung der Arbeiten für die Schule Vollendung der Pläne. Anfeindungen wegen einigen Predigten von den Revisiönlern. Lästerlicher Artikel über mich im Baselbieter, Schreien über mich im Kanton oben. Anderes Schwere kommt dazu.

April. Überwachung der Arbeit an Kleinkinderschulhaus. Bereinigung der Geldangelegenheiten. Unwohlsein. Viel Mißlingen in Haus u. Landwirthschaft – das schwere Amt daneben, nebst dem Präsidium der Schul- u. Armenpflege.

Mai Schulhausarbeiten aller Art. Fatale verdrießliche Geschäfte mit einer Kuh, muß einen besondern Melker haben, weil sie ausschlägt u. derselbe, obwohl gut bezahlt, bleibt oft aus etc etc.

Juni Der Bau in vollem Gang aber nichts als Hader und Verdruß mit dem Zimmermann, der statt zu arbeiten lumpet; muß fast alleine Alles mit ihm ausfechten. Eine Kuh, deren Erlös mich aus Geldverlegenheit hätte befreien sollen mit 200 Franken Schaden verkauft. u ähnliches Mißgeschick mehr.

Juli der Bau im Gang mit viel Arbeit Sorge u. Verdruß neben dem was das Amt sonst genug bringt. Aufregung in der Gemeinde wegen meiner Wiederwahl. Drohungen mich wegzustimmen. Wahl mit großem Mehr. Ehrenbezeugungen etc die mich fast erdrücken.

Aug. das Haus aufgerichtet u. weiter daran gebaut. Die Noth mit dem Zimmermann nimmt kein Ende. Auch mit anderem Manches zu schaffen. Fasse Muth das Idyll vom Her Ehrli wovon die ersten Gesänge schon hallen, fortzusetzen. Betrübendes mit dem gemischten Chor, den ich wöchentlich leite.

Sept. Tags im Amt u. dazwischen auf dem Bauplatz. Nachts Spinnen am Her Ehrli. Kaufe aus Auftrag viel Obst zum Mosten, 16 Säcke u. nachdem ich es gekauft, läßt man mich im Stich u. ich kann den Most behalten ff.

Oct. Veranstaltung einer Lotterie für den Frauenverein, die wir immer ganz allein besorgen. Viel Geschäfte bei Einweihung des Schulhauses; geht gut von Statten. Im Herzen viel Kummer u. Noth wegen der Revision. Spinne dennoch Nachts am Her Ehrli Verdrießliche Geschichte wegen des Drucks u. Verlags. Wollte etwas verdienen u. jetzt ist’s so viel wie nichts. Daneben immer noch die Geschichte mit den Handwerksleuten u. will auch sonst Niemand die Hand anlegen.

Nov Lotterie. Confirmandenunterr. Revisionsnoth. Der Druck des Her Ehrli beginnt u. das Werk ist erst zur Hälfte ins Reine geschrieben; der größere Theil der zweiten Hälfte noch nicht gedichtet. Anstrengende Nachtwachen beim Dichten u. Corrigieren. Gehe fast zu Grunde –

Dec. Dito Abspannung u. Verstimmung des Gemüths in Folge der Anstrengungen Ingrimm über die Revisionsgeschichte Gedanken Amt und Gemeinde zu verlassen. Schwere innere Kämpfe. finis des Jahres.

[späterer Zusatz:]
Ich meinte damals es schwer zu haben, was ist das aber gegen das, was seit 1866 äußerlich und innerlich durchgemacht! Und was wird noch kommen?

Ende 68.