Johannes Meili

Johannes MeiliMeili, Johannes, (1834–1892), geb. in Binningen in einer aus Stallikon ZH stammenden Familie. Schulen in Basel, 1852–56 Studium der Theologie in Basel und Zürich. Vikar in Fischenthal ZH, Bäretswil, Grüningen, Ossingen und Oetwil am See, dort 1859 zum Pfarrer gewählt. 1866–77 Pfarrer in Wülflingen bei Winterthur, 1877 Ruf nach St. Gallen, wo er als Pfarrer der konservativ-positiven evangelischen Gesellschaft in der Katharinenkirche wirkte. Der Vater von dreizehn Kindern verstarb 1892 im Amt.

Johannes Meili aus Binningen, der sich mit Breitenstein im Hebräischen geübt hatte, äussert sich über die theologische Fakultät in Zürich und schildert später seine Erlebnisse als Vikar im Zürcher Oberland. Johannes Meili spornte später seinen Freund dazu an, vermehrt volksaufklärerische Erzählungen wie ‹Die Geschichte vom Storzefried und vom Häfelibäbi› zu schreiben, deren Urfassung in der ‹Basellandschaftlichen Zeitung› ihm Breitenstein zugesandt hat.

Zürich den 14 April 1855.

Werther Freund!

Ich bin so frei Sie mit „Freund“ anzureden, als welchen ich Sie immer betrachtet und Sie sich mir gegenüber erwiesen haben. Ich hoffe, Sie werden es mir fernerhin erlauben und ebenso Sie hie und da mit einem Briefe von meinem neuen Studienort zu belästigen. Das Wichtigste, was ich Ihnen zu berichten habe, wichtig auf jeden Fall für mich, ist, daß ich heute Morgen das mündliche Examen im Hebräischen gemacht habe, nachdem letzten Dienstag das schriftliche vorausgegangen war. Ich kam durch mit Nro 3, eine Nro welche ein nicht in Zürich studiert Habender selten oder nie übersteigt; also zu meiner Zufriedenheit. Dazu haben auch Sie letzten Sommer durch Dictieren, wie Sie sich erinnern werden, beigetragen, wofür ich Ihnen sehr danke. Von 2 andern, die es mit mir machten, ist der eine gleich im schriftl. Examen abgestanden, der andre im mündlichen durchgefallen. – Den Mory hatte ich so eben besucht, und mit ihm Café getrunken und Damenbrett gespielt. Er predigt oft, leider nicht in der Stadt, so daß ich ihn noch nie habe hören können. Er selbst scheint mit sich zufrieden, obschon ich am ersten Tag einen ungünstigen Bericht über seine Predigten hörte von einem Hirzel stud. theol., welcher mir versicherte, eine Gemeinde Namens Langnau glaub’ ich, habe an den Dekan geschrieben, er solle ihnen keinen solchen Prediger mehr schicken. Er übt sich auch täglich in der Katechese mit einigen Kindern. Seine Hoffnung für die Zukunft besteht darin, er werde in einer Gemeinde für den Sommer als Vikar angestellt; das Colloquium gedenkt er im Herbst zu machen. Näheres werde ich vielleicht von Prof. Schweizer u. a., die ich bis dahin noch nicht besucht habe, vernehmen. Er hat ein schönes Logis und ausgezeichnete Kost, besser als ich, nämlich des Abends Café und zum Essen Wein, was ich entbehren muß. Von seinem Zimmer aus übersieht er die Limmat und den See: eine beneidenswerthe Lage; denn von meinem Zimmer aus sehe ich die Straße und gegenüber ein halbzerfallenes Schustergebäude. Freilich ist mein Zimmer größer und etwas eleganter. Er bezahlt 12 Frs, ich 11. Die Philisterei von uns beiden scheint gleich gemüthlich zu sein. Was mein Leben betrifft, so ist es noch wenig weder äußerlich noch innerlich von der Sonne beschienen worden. Immer Regen und trübe Wolken, die wie eine Zentnerlast auf mir ruhten; im Innern Angst vor dem Examen, Sehnsucht nach Hause od. Heimweh, wenn Sie lieber wollen und doch dabei das Bestreben und der Drang einsam zu sein, was meinen Freunden hier, die sich so gerne meiner annehmen, gewiß auffallen mußte. Dabei arbeitete ich ziemlich viel, was nebst Gesang, den ich Solo auf meinem Zimmer pflegte, mich vor gänzlicher Melancholie bewahrte. – Ueber das Stipendium weiß ich noch nichts Gewisses, die Ausschreibung findet erst Ende April statt. […]

Ueberhaupt hoffe ich in meinen Studien hier Fortschritte zu machen und sie zu einem gedeihlichen Ende zu führen. Collegien werde ich ziemlich viel besuchen müssen: Geschichte, Philos. ferner höre ich Symbolik und Homiletik bei Schweizer, Einleitung ins A. T. bei Hitzig und Johannes bei Schlottmann. Zum Schlusse habe ich eine Bitte an Sie: Besuchen Sie wo möglich meine Leute und richten Sie einen Gruß aus, namentlich an meine Mutter und wenn es nicht unbescheiden wäre, möchte ich Sie bitten, den Besuch dann und wann zu wiederholen, es wird ihr sehr angenehm und wohlthuend sein. Entschuldigen Sie meine Freiheit, schreiben Sie mir bald, wenn Sie Zeit haben und empfangen Sie die herzlichsten Grüße von Ihrem Freunde

J. Meili.

Viele Grüße an Ihre Gattin.

Zürich den 25 Oct. 1855.

Lieber Freund!

Ich bin also, wie Du weißt, den 13. Nachts von Basel abgereist. In der Post mir gegenüber saß Lehrer Müller aus Therwil. Alles schlief schon Anfangs, nur ich nicht, so daß ich mich sehr langweilte. In Rheinfelden stach ich eine Flasche Bordeaux an, welche ich bei mir trug und theilte auch meinem Vis-à-vis davon mit, welcher ihn gut gefunden haben muß; denn jedes Mal nachher, wenn ich wieder einschenkte, war er wach und ganz Aug und Mund. Unter Plaudern u. Schlafen gelangten wir endlich in Baden an, und wurden da ausgepackt und bestiegen die Eisenbahn, wo wir uns zwar dehnen und strecken, aber auch frieren konnten. Ein guter Café jedoch in der Sonne in Zürich restaurirte mich und ich war bald im Stande eine Logissuchung vorzunehmen. Während dieses Geschäftes kam ich beim Haus von Herrn Mahler vorbei und beschloß den Mory zu besuchen. Der hatte aber bereits das Limmatufer verlassen, wo er so manche bittre Erfahrung im öffentl. und im Privatleben gemacht hat. Die Frau Mahler fragte mich, ob ich schon ein Logis habe und auf meine verneinende Antwort hin bot sie mir das v. Mory bis dahin occupirte an. Ich sagte zu und hielt noch am gleichen Abend meinen Einzug. Das Logis ist angenehm gelegen, die Kost bürgerlich gut, die Philisterei so, daß man sich mit ihr unterhalten und viel Vergnügen haben kann, wenn man nur ein wenig mit Leuten umzugehen versteht. –

Montags nahm ich Theil an den Feierlichkeiten der Eröffnung des Polyt[echnicums]. Im Fraumünster hielt Herr Frei-Herosé die Eröffnungsrede, wobei er fast jedes Wort ablas und übergab dem Schulrathspräsidenten Kern die Stiftungsurkunde. Kern redete nachher sehr lange. Abends war ein brillantes Essen im Casino, etwa 130 Personen dabei. Alles mundete ausgezeichnet als: Speise, Trank (Bordeaux, Champ.), selbst die Masse von Toasten namentlich von Kern, Humbert Ständerath, Dr. Köchlin, am schlechtesten dasj. v. Treichler, welcher bedauerte, daß man einst den Strauß nicht aufgenommen hatte, und sich auf sein Steckenpferd, Bildung der untern Classen, der Arbeiter setzte. Um 8 Uhr wurde den Versammelten von Studenten des Polytechn. ein Fackelzug gebracht. Die daran Betheiligten kneipten dann am Commers so sehr, daß Einige mußten heimgetragen werden.

Collegien besuche ich wenige: Psalmen und Interpretirübungen bei Hitzig, Apologetik bei Schlottmann und Dogmatik bei Biedermann. Letzterer ist sehr behutsam und bis jetzt kann ich nicht viel sagen und klagen. Gegen die Bestimmung des Wesens der Relig. z. B.: „Relig. ist die lebendige Wechselbeziehung zwischen Gott als absol. und dem Menschen als endlichem Geist“ kann ich nichts sagen. Hingegen in der bald folgenden Bestimmung von Offenbarung und Glaube sind wir geschiedene Leute. Von ersterer sagt er: „Gott ist nicht blos an sich, sondern auch für den Menschen nicht als pass. Object, sondern als Geist, Actus purus! Object der Offenbarung ist das Subject Gott selbst, nicht eine Lehre. Gott offenbart nichts Andres als sich selbst. Glaube ist Beziehung des menschl. Geistes auf den sich offenbarenden Gott, active Aufnahme und Reproduction aus sich selbst etc. Das ist schön zum Denken und ich interessire mich sehr für diese philos. Erörterungen; aber was ist es für’s Leben? Was sollen wir mit diesen abstracten Begriffen? Hitzig ist ein guter Hebräer, man lernt etwas bei ihm. Er geht zwar unbarmherzig mit den Ps. um, nur etwa 12 sind nach ihm von David, alle von Ps. 73 an fallen ihrer Abfassung nach in die Zeit der Maccabäer. Auf diesen Gedanken, sagte er, thue er sich noch immer etwas zu gut; denn er gebe den Schlüssel zur histor. Erklärung. So viel über die Collegien. – […]

Der Suser ist ziemlich sauer, findet aber doch seine Liebhaber; besser gerathen ist der Most, welcher mir Anfangs nicht zusagte, jetzt aber des Mittags beim Essen recht gut schmeckt. Wenn ich in der Lotterie mit meinem Loos einen Käs gewinne, so schreibe mir’s gleich, ich werde ihn hieher citiren; denn Käs und Most sollen sich gut vertragen. Vom philos. Examen kann ich Dir nichts schreiben, weil es noch nicht stattgefunden hat.

In Erwartung baldiger Antwort grüßt Dich und Deine Gemahlin samt dem lieben Hannchen recht herzlich

Dein Freund J. Meili.

Bäretschweil 14. IX. 57.

Lieber Freund!

Ich schreibe diesen Brief von Bäretschweil, meinem nunmehrigen Vikariat aus. Doch ich will mit der Erzählung meiner Schicksale nicht hier am Schwanze anfangen, sondern im Fischenthal nach meiner Ankunft v. Basel. Als ich v. Basel in Zürich ankam, vernahm ich von einem Fischenthaler stud. theol., es heiße allgemein, ich sei aus dem Fischenthal durchgebrannt und habe den Herrn Prinzipal im Stich od. Pech gelassen. Später sagte man mir im Fisch. selber, es habe geheißen, Herr Müller und ich, wir hätten Händel gehabt, ich sei fort und habe bald darauf in einem Briefe obigem Herrn d’Meinig gseit. Am Sonntag strafte ich durch meine Anwesenheit auf der Kanzel diese Gerüchte Lügen. [...]

Das Allermerkwürdigste kommt erst jetzt. Als ich von Fischenthal abreiste, sagte mir [Vikar] Strähler, der in einer Chaise mich bis Wald begleitete, ich solle mich in Zürich noch nicht um ein Vikariat bewerben; denn der Herr Dekan wünsche mich für sich. Ich kehrte mich nicht daran sondern ging gleich den 27. zu Prof. Schweizer, indem ich dachte, ich werde vor dem Dekan sein, weil ich nicht hieher wollte. Schweizer aber sagt mir, gestern sei Herr Dekan Waser bei ihm gewesen und habe um mich angehalten. Was konnte ich machen? Schweizer war gewonnen, weil Herr Waser seit 43 Jahren hier Pfarrer, seit 1831 Dekan, in hiesiger Gegend die rechte Hand der Regierung, sehr viel gilt. Das Merkwürdige daran ist nun das: Mit Herrn Dekan stand ich in keinem guten od. in gar keinem Verhältniß, Herr Müller und Herr Strähler haben mich sicher nicht im besten Lichte dargestellt, ferner kannte er mein Verhältniß zu Herrn Müller und den Fischenthalern und endlich sind wir ganz verschiedener Richtung, indem er ein Rationalist der alten Schule ist. Ausserdem hatte er sich schon früher gegen Strähler geäußert, er möchte nie einen Vikar v. Basel herauf, denn dem Basel ist er nicht gar hold. Trotz alledem wollte er mich als Vikar und ich bin’s nun. Daß ich hieher gekommen, betrachte ich als Fügung Gottes; denn mein Wille war’s nicht, und ich habe keinen Schritt dafür gethan. Hätte ich nicht diesen Glauben, so würde ich bereuen hier zu sein; denn der Kirchenrath hatte beabsichtigt mich nach Oberrieden am See zu versetzen, wo der Pfarrer, der bei einer Hure ist abgefaßt worden, wahrscheinlich resigniren wird od. es schon gethan hat. Dort wäre ich vielleicht zum Pfarrverweser und nach Ablauf des Bienniums zum Pfarrer gewählt worden. Doch der Herr hat’s so gewollt.

Mit dem Herrn Dekan glaube ich besser auszukommen als ich erwartet. Wie ich im Allgemeinen zu ihm stehen werde, hatte mir schon Herr Prof. Schweizer erklärt: In Predigten werde er mich gewähren lassen, wenn ich schon ein andres System habe (das versteht sich freilich am Rande), dafür aber sollte ich ihn in seinen Grundsätzen der Verwaltung nicht beeinträchtigen; denn diese halte er durch langjährige Erfahrung für bewährt. In Verwaltungssachen, im Armenwesen hoffe ich auch viel von ihm zu lernen; denn er ist ein tüchtiger Practicus. In seinen Büchern hat er eine musterhafte Ordnung und führt mehr Bücher als gesetzlich. Ja er ist nur zu sehr minutiöser Gesetzesmann und der Buchstabe geht ihm über Alles. Damit ist aber nicht gesagt, daß ich es auch werden solle, wenn ich schon in mancher Beziehung ihm nachfolgen werde. Die Kanzel ist mir fast ganz überlassen, er wird nur hie und da predigen. Den Religionsunterricht in den 8 Schulen besorgen meist die Lehrer, nur gelegentlich wenn wir sie besuchen, wird d. Herr Dekan od. ich ihn ertheilen. Ebenso hat er mir angekündigt, daß er mich auch Schreiben werde ausfertigen lassen und zu Audienzen zuziehen werde. – Der Vikar ist bei ihm auch Familienmitglied od. soll vielmehr ein solches vertreten, weil er ganz allein ist. Seine Frau ist vor 2 Jahren gestorben, seine 3 Töchter sind verheirathet und so leben wir Beide mit einer Köchin. Im Umgang ist er angenehm, unterhaltend und liebt ein Späßchen und scheint auch einem schönen Gesichtchen nicht abhold zu sein, wenn er schon 67 Jahre alt ist. Er hält sehr viel auf formellen Anstand, auf Etiquette und man darf namentlich nicht vegessen daß er so und so lang Pfarrer, so und so lang Dekan ist und also eine bedeutende amtliche Person. Vormittags arbeiten wir beide, Nachmittags spazieren wir od. machen Schulbesuch. Unsre Lebensart ist äußerst einfach, Morgens Café, Mittags Suppe, Fleisch und Gemüse, Abends ich Café, er Wein und Nachts Suppe; Mittags und Nachts habe ich je einen Schoppen Wein. –  Was meine Ökonomie betrifft, so werde ich für meine Person wohl durchkommen, ich habe Kost, Logis, Wäsche, Licht frei und dazu jährlich Frs. 500. […]

Was mir bis jetzt und gerade gestern am meisten Freude gemacht hat, das ist unsre Kirche. Sie ist sehr groß, faßt gut 1600 Personen und prächtig gebaut. Es macht einen wohlthuenden Eindruck in diesen wenn schon großen, doch leichten, feinen, heitern Tempel voll Symmetrie und Harmonie einzutreten und ich glaube, daß sich nicht bald irgendwo auf dem Lande eine angenehmere, lieblichere Kirche finden läßt, nicht einmal in Städten. Und wer ist der Baumeister gewesen? Mein Herr Dekan hat den Plan entworfen und den Bau hauptsächlich geleitet. Er hat jetzt noch alle Rechnungen aus jener Zeit wohlverwahrt und darin ist das Einzelnste aufgeschrieben z. B. Wer gefrohnt hat, wann, wie viel Wagen Stein weggeführt, woher etc. etc. Ueber mich und mein Bäretschweil schreibe ich Dir einen Haufen hin, daß es Dir wahrscheinlich bald schwindelt, aber 1. wüßte ich Dir jetzt nichts mitzutheilen, das mir näherläge und 2. bist Du es allein, dem ich Alles in der Weise schreiben kann und darf und Jemanden muß ich haben um ihm solche Mittheilungen zu machen.

Ich habe nun nur noch die Bitte, daß Du mir bald antworten mögest und vor Allem mir berichten, in welches Stadium Dein mir mitgetheilter Plan getreten ist, ob schon einige von Deinen trefflichen Illustrationen des Volkslebens erschienen sind od. ob ein neues Blatt sie liefern wird. Könntest Du mir etwas einhändigen, so wär’s mir ungemein lieb und gewiß auch meinem Herrn Dekan, den ich unvermerkt auch in etwelches Interesse für Basel ziehen möchte und dies wäre ein schönes Hülfsmittel. Sodann hast Du vielleicht wissenswerthe Berichte von od. über Binningen, welche ich gerne lesen werde. Ich hoffe, daß Deine l. Frau (verzeihe mir den simplen aber besten Ausdruck) schon längst genesen ist und Du mit den Kleinen Dich wohl befindest, wie ich’s auch von mir aussagen kann.

In Erwartung baldiger Antwort grüßt Dich und die Deinen recht herzlich
J. Meili, Vikar.

 

P.S. Ich betrachte es als selbstverständlich, daß Du mir womöglich die gehaltene Predigt bei der Beerdigung meiner l. Schwester auch schickest, möchte Dich aber doch nochmals dringend aufgefordert haben sie mir zuzustellen wenn es auch noch nicht mit dem nächsten Brief sein könnte.

Bäretschweil den 16 Febr. 1858.

Lieber Freund!

Ich danke Dir recht herzlich für Deinen Brief und für die Uebersendung der Baselldsch. Zeitungen, welche ich Dir hiemit wieder zustelle. Die Artikel haben mich sehr angesprochen und gefreut, ich habe sie abgeschrieben. Sie sind einfach, natürlich und klar geschrieben, ganz für’s Volk und auch der Ton scheint mir der richtige zu sein; denn in Zeitungen paßt ein ausgeprägter Predigtton nicht. Gleichwohl wird Jedermann den Geistlichen herausfinden, besonders aus dem Schluß in Nro 147 u. das ist recht; denn ich kann nicht mit denen halten, welche meinen, man müsse bisweilen den geistlichen Character od. besser den christl. – welchen aber viele Leute nur dem Geistlichen anheimstellen – auf die Seite thun, wie einen Rock, den man gelegentlich an u. auszieht. Die Artikel wären auch für unsre Gegend sehr passend, ja für alle Lande, was den Stoff u. die Behandlung desselben betrifft. Auch bei uns ist die Wucherpflanze der Fleischeslust, der Unzucht, des Saufens etc. recht verbreitet und frühe Heirathen wegen des Notabene nicht selten. Ungeschickte Haushalter haben wir auch in Menge in geschilderter Weise, die nicht nur kaufen, was sie nothwendig haben sollten, sondern was ihnen gerade gefällt z. B. wenn Markt in Bauma ist oder wenn ein Tuchhändler mit allerlei Stoffen in die Häuser rennt. Auch über Unordnung und Unreinlichkeit ließe sich klagen, wenn auch, wie ich glaube, weniger als in Baselland; denn im Allgemeinen zeichnen sich die Zürcher durch Reinlichkeit aus und man merkt dies beim ersten Schritt in ein Dorf hinein. Zürne mir nicht, wenn ich mich vielleicht mehr, als mir ansteht, für die Sache interessire und mir noch die Frage erlaube, ob Du nicht in einem od. einigen spätern Artikeln auch den tiefer gehenden Item näher beleuchtest, wie es komme, daß die Leute in die gerügten Fehler hineingerathen und wie man davor sein könne (Erziehung, Schule, Kirche, h. Schrift, Gebet etc.). Du verständest dies sicher auch zu einer Volksspeise in der Zeitung zu machen. Nro 147 Schluß hast Du bereits den Aetti und das Müeti ein wenig gedämpft.

Neuigkeiten, welche allgemeines und nicht blos lokales Interesse hätten, weiß ich keine und ich kann Dir demnach nur Dinge berichten, wobei meine Person mehr od. weniger betheiligt ist, also von mir, wenn ich nicht jetzt schon schließen soll. […]

Mit meinen Leuten im Pfarrhaus komme ich recht ordentlich aus; sie haben mich zwar bereits zu einem Pietisten gestempelt und warum? Hauptsächlich deshalb weil ich nicht leiden will, daß die  Haushälterin alle Tage zotire, auf der Kanzel ein wenig ad hominem rede und für Mission bin. Wofür die Gemeinde mich hält, weiß ich nicht; nur so viel weiß ich, daß Hohe und Niedere sich recht freuen, wenn ich recht lange od. für immer hier bleibe, der Statthalter wie der Hüttenbewohner auf dem Berge. – Die Liebe der Fischenthaler zu mir bleibt stets die gleiche. Vor einem Monate war ich dort und wurde herzlich aufgenommen. Dato hat jene Gemeinde wieder heftige polit. Partheikämpfe. So viel ich vernehme, hoffen die Conservativen in den Maiwahlen auf einen eclatanten Sieg. Letzten Donnerstag habe ich einige angenehme Stunden im Pfarrhause Bauma verlebt. Ich hatte an der Stelle des dortigen Pfr. Herrn Cammrer Hirzel eine Leichenrede gehalten – er war nämlich in Zürich – und vor und nach dem Gottesdienste mit seiner Frau mich sehr genußreich unterhalten. Ueberhaupt gehört meine Bekanntschaft mit Herrn Pfr. H. zu den schönsten Seiten meines jetzigen Lebens. Du hast vielleicht schon von ihm gehört, er ist einer der ersten Geistlichen des Kantons an Glaube und Erkenntniß und hatte unter Anderm an der letzten schw. Predigerversammlung ein Referat. Am Bettag Vormittag habe ich von hier aus für ihn in Bauma gepredigt, da er krank war, später ein Mal Kinderlehre gehalten und ihm also kürzlich wieder ausgeholfen. Damit ist 2erlei gewonnen: 1. habe ich mit einem Manne, welchen ich hoch achte, eine Verbindung, die hoffentlich immer enger und fester wird. 2. sind dadurch das Pfarrhaus Bauma und Bäretschw. einander etwas näher gerückt. Seit den mehr als 10 Jahren, da Herr Hirzel in Bauma ist, wollte Herr Dekan nichts mit ihm gemein haben, noch aus trennendern Gründen als denjenigen der Verschiedenheit der Grundsätze. Seit ich hier bin, haben nun Herr Dekan und ich, wir beide bei Herrn Hirzel einen Besuch gemacht und er bei uns: eine Erscheinung, welche allgemein auffällt. Gebe Gott, daß die Schroffheit des Herrn Dekan am Ende anz beseitigt werde, o der Herr weiß sicher Wege! […]

Nach diesen Mittheilungen magst Du mein Leben und Streben würdigen: ich will vorwärts mit Gott in Glauben und Wissen und in der Jüngerschaft Christi. Welch’ ein Geschöpf ich bin, wird mir immer mehr bewußt und ich bete „Herr, ich glaube; hilf meinem Unglauben“, und daß dies geschehe, daran zweifle ich nicht, der Vater muß zwar starke und strenge Mittel anwenden und er hat bis jetzt es auch gethan, so daß ich ihm nur danken, ja recht danken muß, doch immer machte er’s so daß ich es ertragen mochte. O mein Lieber! Ich lebe keineswegs in leerer Gefühlsschwärmerei, dies hätte eher für frühere Zeiten gegolten. Auch ist mein Streben ein redliches, o gewiß und ich gebe mich nicht anders als ich bin; denn aller Schein ist mir im Innersten zuwider. Wollte mir Jemand Vorwürfe machen, daß ich jetzt so bin und nicht anders war oder mir gar fluchen, nun so nehme ich es hin als verdient. Ich habe es verdient dafür, daß ich oft, ja sehr oft, göttl. Gebote und Gewissen weggeschwatzt und mich mit der Achtung der Welt begnügt habe. Doch ich mache Betrachtungen, die mehr bei mir bleiben sollten; aber weß das Herz voll ist, deß geht der Mund über und mit Dir darf ich schon so reden. […]

Schließlich danke ich Dir sehr für die Mittheilung der Leichenpredigt. Sie hat mich beim Durchlesen wieder recht gehoben. Du wirst begreifen, daß die Wunde noch lange nicht vernarbt ist od. besser die Wunden, denn es sind deren zwei, welche nur durch den unerschütterlichsten Glauben können geheilt werden.

Mit den herzlichsten Grüßen an Dich und die Deinigen verbleibt Dein treuer Freund
J. Meili Vikar.

 

P.S. Schicke mir doch fernere Artikel aus Deiner Feder, aber NB unfrankirt; denn das wäre mir eine saubere Geschichte, wenn Du für Deine Güte die Kosten bezahlen müßtest. –

Toast auf das Brautpaar Pfarrer Meili

I ha nimm Zit gha vill z’studiere
Sust thät mi besser exschpliziere.
Nu, hüt z’Mittag chunnt der Herr Meili
Und seit mir i soll doch frei weidli
Zue im zuem Mittagesse cho
Si liebe Brueder sig just cho.
I soll errothe öb e Bäsli
Jo nei si liebi gueti Brut –
Do hani gstunet überlut
Eh was si Brut, was Sie mer brichte
Jo, jo do will i mi irichte
und cho so öbbe für e Stündli
E so ne Stündli isch e Fündli
Wenn Ein e Fründ bigrüesse cha
Ass en angehnde Ehema.
Und darf vo Herze gratuliere
Ass er mit Freude darf heifüehre
Es Fraueli so lieb und guet
Wo künftig für in sorge thuet
Und mittheile Freud und Leid
Es git nüt schöner’s hani gseit.
Wie lang scho isch’s doch nit e Gschicht
Und het me gwartet uf e Bricht
Ob de Herr Pfarrer noni well
E Frau au ha zue siner Stell.
Er het ein aber warte lo
Und nüt het welle fürecho.
Si Brueder ohni Federlese
Het oft im der Levite glese
Und gsait: „los liebe Brueder Schang
De machsch mer afe völlig bang
Säg wit di Lebelang nie wibe?
Witt du denn ebig ledig blibe?
`S het Alls nüt g’nützt, scho isch’s eim gsi
Dä nimmt kei Frau `s blibt derbi.
Er aber het in siner Stille
Gseit: „es gescheh des Herren Wille
I will mer’s Glück nit selber geh
Doch git mer’s Gott, so will is neh
So will is neh mit Dank und Freude
So will is neh, froh und bischeide
Und wie der Herr no Alles lenkt
Und was mer Gott no öbbe schenkt
Das will i as si Gschenk und Gob
In Ehre ha.“ Und lueg Gott Lob
Er het nit übel grechnet, jo
Uf’s Best isch Alles use cho
Drumm hoffe mer, Gott werd si Sege
Au geh uf alle künftge Wege
Vo-n eusem liebe Paar und gsund
Se bhalte in dem Ehstandsbund
Und was `s brucht zum Glück
Au Alles thue in jedem Stück
Mir aber hebe d’Gäser hoch
Und säge: „`S Brutpaar lebi hoch!“