Leben als Student, Unterkunft, Verpflegung

Brief an Theresia Tschopp am 18. Mai 1851

Ausschnitt aus einem alten Stadtplan von Göttingen vor 1864 mit der Gronerstrasse 758 (seit 1864 die Nr. 13). Hier wohnten Jonas Breitenstein und Martin Grieder (später Birmann) bei der Familie Grube.#Stadtarchiv Göttingen.

Heutige Ansicht der Unterkunft von Jonas Breitenstein und Martin Birmann (Grieder) an der Gronerstrasse 13 (vor 1864 die Nr. 758).#Foto von Oliver Schröer, Archivar der Stadt Göttingen, 2019.

Die Gronerstrasse in Göttingen. Nr. 13, wo Jonas Breitenstein wohnte, befindet sich inmitten der kleineren Häuser links.#Fotosammlung Hernfred Arndt, Göttingen.

Wir hatten bei unserer Ankunft im Gasthof kaum den Kaffe getrunken, so kam schon dieser und Jener, der eine wollte unser Stiefelputzer sein, der andere unser Balbierer, der Dritte dieß und jenes. Wir wiesen sie jedoch ab und da unser Freund hier uns schon ein Logis gesucht hatte, so konnten wir glücklicherweise gleich einziehen, ohne vom Hudelpack weiter gedrängt zu werden. Unsere Hausleute sind nun, was man sagen kann recht brav und gut, sie sind freundlich und gefällig und suchen uns nirgends zu übervortheilen, wie dieß sonst hier oft geschieht. Es ist ein altes Ehepaar mit einem braven Sohne, ein jedes Studentenzimmer hier ist ein ziemlich großes Zimmer mit Kommode, einem Kanapee mit rundem Tisch, mehreren anderen Tischen und Stühlen. Daran stößt hinten ein Schlafgemach mit Kasten und 1 Tischchen. Du könntest nun meinen, wir hätten’s nur zu schön; aber einestheils kann man es nicht anders auslesen, weil alle die man haben kann, so sind, und zum anderen sind die Moebeln zwar nicht wüst, aber auch nicht so glänzend und blanc wie man meinen könnte, und da die Leute mit einander wetteifern, so sind sie auch nicht so theuer. Denke Dir so 700–1000 Studenten in einer Stadt halb so groß wie Basel, von denen jeder ein solches Zimmer haben muß, das macht schon etwas aus! Die Leute leben aber auch zum großen Theil von Studenten; ich habe berechnet, daß jährl. so 700’000 Franken nur von Studenten in die Stadt fließen mögen. Diese sind denn auch ganz anders als in Basel. Die Leute, weil von ihnen abhängig, sind wie unterthänig und hudeln und wedeln einem wohin man will. Zudem haben wir in vieler Beziehung weit mehr Rechte als die andern Leute, was ich zwar nicht für billig erachte aber begreifen kann, denn ein Student ist an keinen Ort gebunden und kann sagen, wenn mir daß und jenes nicht zugestanden wird, so gehe ich fort. Unter den Studenten giebts hier meistens grosse schöne Leute, z. Th. mit ungeheuren Bärten, Mützen von allen Formen und Farben wimmeln da durcheinander. Viele sind alle Tage auf dem Fechtboden und hauen einander Wunden und Löcher in die Köpfe. Andere machen zu Pferd und Wagen mit Schlägern, Kanonenstiefeln und Fahnen einen fröhlichen Ausspann oder rutschen in den Wirthshäusern und Kegelbahnen herum, noch andere besuchen fleißig die Hörsäle und schwitzen daheim hinter den Büchern, trinken Kaffe und Thee, bisweilen auch Bier und lassen sich etwa am Sonntag einen Spaziergang gefallen, und noch andere endlich arbeiten bisweilen fleißig, lassen sich aber gerne sehen auf Bällen, in Conzerten, im Theater und in Theevisiten bei höflichen Frauen und Fräulein und spielen den Galanten; rathe, zu welcher Klasse gehöre ich? Wir haben nun ein sonderbares Leben. Da man nie im Hause die Kost hat, so müssen wir uns selbst kochen. Wir halten eine Kaffemaschine, mit ganzem Kaffeservice, und lassen uns des Morgens darin heißes Wasser auf glühenden Kohlen geben. Welcher nun zuerst bereit ist, macht den Kaffe, zu dem wir Semmeln (fast wie unser Weißbrot) essen. Um 7 Uhr gehen wir ins Colleg und studieren bis Mittag; wenn es schön Wetter ist und wir Zeit machen können, machen wir etwa einen kleinen Spaziergang zur Erholung dazwischen. Am Mittag essen wir wieder im Zimmer. Die Magd muß uns nämlich beim Garkoch das Essen holen; die Studenten nämlich essen alle entweder in den Gasthöfen oder so auf dem Zimmer. Wir haben das Letztere vorgezogen, weil das Essen reichlich und gut ist, und nur halb so theuer ist als im Gasthof, nämlich nur 3 Thaler (etwa 79 Batzen) im Monat kostet wie im Gasthof 6, abgesehen davon, daß man dort noch oft verleitet wird, ein Glas Wein zu trinken, wovon die Flasche zum Mindesten doch 12 gute Groschen, etwa 13 Batzen kostet. Übrigens ist hier eine ganz andere Art im Kochen als bei uns; ich konnte mich lange nicht dazu verstehen. Es ist Alles so fett daß man’s fast nicht essen kann, daneben ist der Anken gewöhnlich nicht recht heiß gemacht, in den Suppen habe ich hier noch kein Brot gesehen, von Fleisch erhält man meistens Schweinefleisch, gebraten oder an einer Sauce. Unser Essen ist noch so ziemlich appetitlich, obschon sonst hier nicht die größte Reinlichkeit herrscht. Wir haben unsere eigenen Tischtücher, Schüsseln, Teller und Bestecke. Zum Mittagessen haben wir Schwarzbrot, das man nur in kleinen Laibchen zu einem Bz. und darunter haben kann und das aussieht wie unser Bauernbrot, nur viel saurer und nicht so gut ist. Laibe Brot wie bei uns sieht man hier keine, obschon sonst die Bäckerei blüht und man hier etwa 30 verschiedene Arten von Brotbackwerk haben kann. Da findet man Kuchen von Weckenteig mit einem Zuckerguß darüber, die dann fast aussehen wie unsere Lebkuchen, Gugelhöpfe, Zwiebacke, Rosinenbrot, Propheten, Mennschel und weiß der Himmel, wie die Sachen alle heißen, und doch hat mir von Allen, die ich unter die Zähne bekommen habe, noch nichts gut geschmeckt als die Semmeln die ungefähr sind wie unsere Weißbrötchen, nur daß sie nicht so kräftig sind und eine ganz andere Form haben, ungefähr so: Am schlimmsten dran bin ich mit dem Nachtessen. Die hiesige Sitte ist, daß man Thee trinkt und ein Butterbrot dazu ißt. Dieß Butterbrot besteht in einem Schnitten Brot auf das Anken gestrichen und auf dem Anken eine dünne Scheibe Methwurst gelegt ist; so bekommt man’s schon zubereitet in jedem Wirthshaus, wenn man’s verlangt, und nicht anders. Die Methwurst nun ist eine sehr dicke feine und fette Zungenwurst; sie ist wohl gut, hat mir aber schon in den ersten zwei Malen da ich aß, übel gemacht und seither habe ich den Verleider daran. Vom Thee aber bin ich kein großer Freund und halte es auch nicht für gesund so zum gewöhnlich trinken, mein Freund, der Grieder, ist aber ganz versessen darauf und es thut ihm in der Seele wohl, wenn er Abends einen Thee anbrühen kann. Ich behelfe mich oft mit einer Flasche Bier und etwas Schwarzbrot mit Schweizerkäse, oder lasse ein Paar Stierenaugen mir machen, um doch etwas zu haben. Wie vielfältig die Auslagen sind, die wir haben, kannst Du auch aus folgendem ersehen: Jeder Student muß ehrenhalber einen Stiefelfuchs halten, der die Stiefel und Kleider putzen und wichsen muß und diese und jene kleine Arbeit verrichtet, wenn man’s befiehlt. Das ist ein armer Mann, der unserige ist schon 20 Jahre in diesem Dienst. Der kommt nun alle Morgen oft um 5 Uhr schon, weckt Einen aus dem süßen Morgenschlaf, kommt ins Schlafzimmer und nimmt Schuhe, Stiefel, Hosen, Röcke, Alles unter den Arm und putzt es im Hausgang. Ich wollte es ebensogern selber thun, wenn es der Anstand nur einigermaßen zuließe, (ich habe es in Basel auch fast immer gethan.)

Die Kirche St. Nikolai, auch Universitätskirche, von Südosten. Lavierte Federzeichnung um 1830 wohl von Friedrich Besemann.#Städtisches Museum Göttingen, ohne Inv. Nr.

Innenansicht von St. Nikolai, Lithographie um 1850.#Städtisches Museum Göttingen, Inv. Nr.1931/453.

Und diesem Burschen muß jeder im Halbjahr 8 Thaler (fast 8 Franken) geben, es sind dieß feste Sitten und Gebräuche und Taxen gegen die man sich nicht wehren kann. Ebenso müssen wir der Magd des Hauses das Gleiche geben, sie verdient es aber besser. Wir brauchen nur zu schellen, so kommt sie und besorgt uns Alles was wir bedürfen, Brot, Bier, Kaffee etc. etc. Lustige Scenen giebts dabei auch. Die gemeinen Leute hier sprechen ein halbes Plattdeutsch, das wir kaum verstehen, und sie wiederum verstehen uns nicht, nun auch wenn wir gut deutsch zu reden glauben, gibt’s dann manchmal Mißverständnisse. Bis dato war es hier sehr kalt und ich fror fast immer, hatte auch mehrere Tage heftiges Zahnweh, einen geschwollenen Backen und Anfälle von einem Flußfieber. Ich konnte jedoch tüchtig schwitzen und habe mich so Gott Lob erholt. Belästigungen und Vergnügungen gehe ich wenig nach, wir bleiben immer zu Hause und studieren, und machen dann etwa, um ein wenig auszuruhen eine kleine Tour um die Stadt, wo es sehr schöne Spaziergänge giebt. – Nur am Samstag Nachmittag besuchen wir unsere Landsleute (mit andern Studenten und ihrem Leben haben wir nichts zu thun), machen mit ihnen einen kleinen Ausflug in ein benachbartes Dorf trinken dort Kaffe und Bier und kehren wieder heim. Der Sonntag wird außer d. Kirche mit Spazierengehen und besonders mit Briefschreiben zugebracht. Ich fände auch nicht nur nicht genug Geld und Lust sondern auch keine Zeit zu mehr Vergnügungen, denn ich fühle erst jetzt recht, wie viel ich noch studieren muß, um übers Jahr mit Ehren das Examen bestehen zu können. Doch ich strenge mich ja gern recht an weil ich das frohe Bewußtsein dabei haben kann, nicht nur meine Pflicht gethan zu haben sondern auch fähig zu werden, Dich meine Theuerste, recht bald und sicher glücklich zu machen. Dieß Bewußtsein spornt mich zu meinem Fleiß, wenn auch die müden Kräfte sinken und der angestrengte Geist erschlaffen will. Über 14 Tage werde ich hier in der Universitätskirche predigen; es kommen als Zuhörer nur Professoren und Studenten und kritisieren mich nachher.

Auch haben unser Einige alle Wochen Versammlung bei einem alten gelehrten Professor, wo man nur lateinisch redet, jeder muß dann irgend einen Satz aufstellen und verfechten, ich komme unglücklicherweise das nächste Mal schon ans Brett, das wird lustig gehen! Doch ist es [nur] halber Spaß, wenn es auch ernst gemeint ist. […] Es ist noch nicht lange, daß wir bei einem zu Nacht essen mußten, […]. Heute sind wir zum alten, in der gelehrten Welt berühmten Professor Lücke eingeladen und ich freue mich darauf, denn wenn der alte Mann schon einer der gelehrtesten Theologen Europas ist, so ist er doch so herablassend freundlich und liebenswürdig und daneben ein Gspäßler, wie ich noch wenig solcher Leute gesehen habe.

Blick über Weende auf die Stadt. Holzstich um 1840/50 von Heinrich Loedel.#Städtisches Museum Göttingen, Inv.Nr. 1898/405.

Am Leinekanal mit Blick auf den kleinen Gartenpavillon, links öffnet sich die Strasse und der Hof vor der Bibliothek. Aquarellierte Federzeichnung von Friedrich Besemann um 1820.#Städtisches Museum Göttingen, Inv.Nr. 1933/23.

Gestern Nachmittag war schönes Wetter, wir machten einen Spaziergang nach Weende und waren recht angenehm und lustig; und doch konnte ich nicht so heiter sein wie die Andern, und wenn sie lachten und Schnocken erzählten oder sangen, so schweifte mein Blick nach dem fernen Süden hin und ich dachte, wie hinter den fernen Bergen die wohnt, die meine Seele liebt und wie Du vielleicht trauernd einsam sitzest u. auch meiner gedenkest u. als wir des Abends heimzogen u. der Mond am Himmel heraufstieg. So tröstete ich mich, wie er vielleicht auch Dir jetzt Trost und Frieden zulächle; u. Wehmuth wechselte mit Wonne in meinem Herzen, das Dir ein stilles Lebewohl auf frohes Wiedersehen zurief. Wie unser Collegium aussieht siehst Du vorn auf dem Bilde, wir haben aber keine Stunden darin, es dient nur für die mehr festlichen Anlässe, ich war erst 3 Mal darin. Glaube nicht jedoch, daß alle Häuser hier so schön seien; doch davon ein ander Mal. Während ich diese Zeilen schreibe sitze ich im Kabinettchen im Garten an dem kleinen Flusse der durch die Stadt fließt. Grieder sitzt am andern Ende des Tisches u. studiert.

An die Eltern am 2. Juni 1851

Bevor ich nun Euch von der Stadt, ihrer Umgebung, dem Leben und den Sitten der Bewohner, dem Studentenleben etc. berichte, glaube ich mehr Euren Erwartungen zu entsprechen, wenn ich Euch eine kleine Schilderung unseres Lebens und Befindens hier gebe. Wir wohnen also bei Herrn Grube an der Gronerstraße, einer der Hauptstraßen der Stadt. Unsere Hausleute sind recht ordentliche, alte äußerst gefällige und freundliche Leutchen, haben einen stillen Sohn und eine bestandene erfahrene Magd, die das ganze Hauswesen rüstig versieht. Wir haben noch keine Spur von Uebervortheilung, wie es hier bei Philistern (Nichtstudenten) den Studiosis gegenüber oft geschieht, bei ihnen entdecken können. Als ich unwohl war, nahm sich meiner Frau Grube selbst mehr an als weiland Frau Scherb. So gut wir jedoch mit ihnen stehen, haben wir sonst durchaus nichts mit ihnen gemein und sind nicht im mindesten in ihren Familienzirkel eingeweiht, wie’s überhaupt bei Studenten hier eine große Seltenheit ist. Eben ein trauliches Familienleben ist es, was unsereiner hier vermißt, wenn er nicht in einzelne Familien eingeführt ist, was freilich oft auch vorkommt, bei uns aber nicht stattfindet. Wie jeder Studio, so haben auch wir jeder zwei Zimmer, ein größeres zum Studieren, Visite zu empfangen, Eßzimmer etc. und als Anhängsel ein kleines Schlafzimmerchen. Fast alle Häuser sind eigens so für die Studenten gebaut und eingerichtet, daß vorn hinaus dieß größere, hinten hinaus das Schlafzimmerchen geht. In unserm Hause sind 4 solche Zimmer, alle von Studenten besetzt. Ein Zimmer fürs miteinander zu nehmen, gienge deshalb nicht an, weil zum Schlafzimmer unmittelbar das Hauptzimmer gehört, im Schlafzimmer aber nie 2 Betten Platz haben und man daher wohl oder übel 2 Schlafzimmer und mit denselben die eng damit zusammenhängenden Hauptzimmer nehmen müßte. Die Zimmer unterscheiden sich im Preis nur in Beziehung auf die Ausstattung und die größere oder geringere Vornehmheit der Hauseigenthümer, und in dieser Beziehung haben wir uns natürl. nach der Decke gestreckt. Nichtsdestoweniger sieht es bei uns ganz wohnlich aus. Die Zimmer haben die Gestalt, nur nicht die Größe, wie die Stuben daheim im Pfarrhaus mit zwei Kreuzstöcken, die mit Storen und weißen Vorhängen versehen sind, und zwischen beiden ist der Spiegel unter welchem ein einfaches kirschbäumenes Toilettentischchen steht. Rechter Hand in der Ecke steht der Schreibtisch auf welchem ein Bücherschaft, links an der andern Wand eine Kommode mit Aufsatz. An der gleichen Wand nahe bei der Kommode ein nußbaumener Tisch und auf der andern neben dem Schreibpult ein – Ruhebett mit einem runden Tisch davor. Solche Sophas sind hier durchaus Mode und in den Zimmern gemeiner Leute findet man sie überall, so wie sie in jedem Studentenzimmer, das ich noch gesehen oder von dem ich gehört, nicht fehlen. Das Schlafzimmer dagegen enthält einen einfachen tannenen Kleiderschrank, Bett und Tischchen; daß die gehörige Zahl von Sesseln nicht fehlen, versteht sich von selbst. Der Preis der Wohnung für das halbe Jahr macht für ein Semester 3 Louisd’or, also bei weitem nicht so viel als man an den meisten Orten in Basel für ein ähnliches zahlen müßte; kam doch mein kleines Zimmerchen in der Spahlen jährlich auf 62 fr. Des Morgens um 6 oder ½ 7 bringt die Magd unser Kaffeservice herein, das wir uns haben anschnallen müssen, bestehend in 2 Tassen, einer Kanne, einem Milchtöpfchen, Löffelchen, Zucker- und Kaffebüchse. Wir bleiben auf dem Zimmer, die Hausleute müssen den Kaffe uns halb Pfund weis geröstet und gemahlen aufs Zimmer liefern, ebenso den Zucker zerstückelt. Mit der Kaffemaschine bringt sie zugleich auf glühenden Kohlen heißes Wasser, von dem wir nun abwechslungsweise oder wie es sich Einem schickt, den Kaffe uns bereiten und dazu Semmeln essen, wovon eine nur 4 Rappen (Pfennige) kostet.  […] Um 7 Uhr gehen wir zu Ehrenfeuchter ins Colleg; von 8–11 repetieren wir zu Hause und studieren privatim, um 11 (bis 12 Uhr) geht’s zum ehrwürdigen alten Professor, Abt und Consistorialrath Lücke dessen Colleg über die christl. Sittenlehre mir das liebste ausgezeichnetste und belehrendste ist, das ich noch gehört habe, zumal da ich über diese so wichtige Disziplin der Theologie in Basel nie ein Colleg habe hören können und nie ein so gediegenes würde hören können. Um 12 Uhr kehren wir in unsere Wohnung zurück, wo die Magd mit unserem eigensten Besteck schon den Tisch gedeckt und das Essen vom Garkoche gebracht und aufgetischt hat. Wir lassen näml. das Essen wie hundert Andere ins Haus kommen, weil dieß das einfachste und billigste ist, wenn man nämlich etwas rechtes essen will. […] Die Kochkunst ist nun freilich hier eine ganz andere als bei uns und ich habe mich noch nicht an alle Speisen gewöhnen können. Von einer rechten Suppe weiß man hier nichts, statt dessen erhält man eine kräftige Fleischbrühe, in der sich etwas Reis, Makaroni, Knödel oder dergleichen findet, damit sie doch nicht gar zu dünn sei; viele Speisen werden mit ausgekochtem Spek geschmolzen, von Zwiebeln fast keine Spur, alles ist überfett und macht Einem oft halb übel, wenn mans nicht gewohnt ist, von Fleisch kommt Schweinefleisch hauptsächlich aufs Tapet. Wir hatten heut zu Mittag, Fleischbrühe an Makaronis, gebackene Kartoffeln mit Carchonaden (ganz kleine aber gute Fleischpfannküchlein), Schweinsbraten und Reisbrei nebst gekochten Zwetschgen. Diese Anzahl von Portionen oft mit einem Nachtisch, oft schlechter oft besser erhalten, war täglich, die Portionen sind dann freilich nicht so groß, daß man an einem Plättchen schon genug hätte; das ganze aber ist zu einem Preis (etwas über 2 ½ Bz) daß man damit zufrieden sein kann. Der Nachmittag geht bei den Collegen, Stunden, Privatstudien und etwa ausnahmsweise einem kleinen Spaziergang vor das Thor schnell vorüber. Am rathlosesten sind wir beim Nachtessen, das wir, wenn nicht der hungrige Magen uns anders zwingt, gewöhnlich mit dem Abendessen verbinden. Die hiesige Sitte ist sonst wie überhaupt im Norden – daß man Thee trinkt und dazu Backwerk, Eier, oder besonders Butterbrot mit Methwurst ißt. Das Butterbrot besteht aus zwei breiten flachen Stücken Schwarzbrotes, die durch eine Schicht Butter miteinander verbunden sind. Auf dieses Brot legt man dünne Scheiben von Methwurst, einer dicken fein gehackten sehr fetten geräucherten Wurst von Schweinefleisch, das aber roh ist und so roh gegessen wird. Dieß ist das Abendessen, das Einem zum Beispiel in vornehmen Häusern aufgewartet wird bei Einladungen, nur daß dann noch allerlei Backwerk hinzukommt. Da wir nun aber das beständige Theetrinken als der Gesundheit nicht förderlich halten, so machen wir uns nicht selten den Kaffe und essen Brot dazu nach altvaterländischer Sitte, oder wir lassen Bier und gesottene oder in Butter geschlagene Eier kommen, welche beide hier, wenigstens was die Eier betrifft, wohl billiger sind als bei Euch (5 gesottene um 1 Batzen). Doch bei alledem sehnen wir uns doch nach dem einfachen aber gesunden Nachtessen oft, woran wir uns bei der bürgerlichen Kost in Basel gewöhnt haben. Das Weintrinken lassen wir hier wohlweislich gänzlich bleiben, da die Flasche eines freilich ordentlichen Tischweines wenigstens 12 Batzen oder 12 Gute Groschen kostet, ich habe überhaupt hier noch wenig Wein gesehen; das herrschende geistige Getränke ist Bier, das noch ziemlich trinkbar ist und gebrannte Wasser, die aber mir herzlich zuwider sind. Verbindungen mit Studenten haben wir keine, außer daß wir Landsleute, 13 Schweizer, die fast Alle an einer Straße neben einander und einander gegenüber wohnen uns bisweilen besuchen und Nachrichten aus dem Heimathland mittheilen, etwa auch einmal einander zum Kaffe oder Thee einladen und am Sonntag miteinander, wenn es schönes Wetter ist, einen kleinen Spaziergang machen. Auch existiert unter uns eine Schweizerzeitung und ich weiß schon lange, daß die Bubendörfer wieder einmal einen Landsturm produziert haben, wie vor etwa 7 Jahren. Die freizüngigen Norddeutschen, die das g wie j und ch wie sch aussprechen, machen oft lange und komische Gesichte, wenn wir untereinander mit unserm rohen Schweizerdeutsch herausrücken und sie von uns fast kein Wort verstehen. Übrigens müssen wir uns auch anstrengen, wenn wir den hiesigen Dialekt, besonders gemeiner Leute verstehen wollen, der schon ins Platte hinüberspielt und mit einem merkwürdigen Accente abgehaspelt wird. Statt nein sagt man hier schon nee etc. etc. Aus all dem Bisherigen könnte es scheinen, als ob das Leben hier verhältnißmäßig ein sehr billiges wäre, es kommen aber noch neue Pöstchen, die man einmal, durch Sitte, Umstände und Einrichtungen genöthigt, nicht vermeiden kann. So ist es stehende Sitte der Wascherin für das Semester 4 Thaler zu bezahlen, hieran wird nichts geändert, man kann dann aber geben so viel man will, und da man immer sehr reinlich erscheinen muß und viel zu waschen hat, kann man am Preise nicht viel klagen. Ebenso ist es gleichsam vorgeschrieben, daß die Studenten der Magd des Hauses für die Bedienung jeder 3 Thaler im Semester geben muß, dafür muß sie aber nebst der gewöhnlichen Besorgung des Zimmers und Essens einem hinspringen, wo man will und bedarf und thut es auch pünktlich, obschon wir sie in dieser Beziehung nicht allzusehr plagen, weil wir uns nicht so an ein bequemes Herrenleben gewöhnen wollen, aber Seife, Brot etc. etc. müssen wir durch sie holen lassen, weil es selbst zu holen für einen Studenten geradezu unschicklich gehalten würde. Obendrauf kommt dann noch der Stiefelfuchs aufs Zimmer alle Morgen gestiefelt, packt Schuhe und Kleider zusammen und putzt sie aus; der unsrige ist ein alter verdruckter (wie sie alle sind) doch zuverläßiger Krauter. Die 3 Thaler, die man auch diesem Herrn im Semester geben muß, reuen mich am allermeisten.

[…] Bei den Herren Professoren wurden wir gut aufgenommen, bei Lücke und Ehrenfeuchter wurden wir zum Nachtessen eingeladen, sie waren sehr freundlich und herablassend und wir fühlten uns in der Gesellschaft auf keine Weise gehemmt. Der alte Lücke vollends ist der allerliebste Mann von der Welt, so sittlich ernst und doch so mild und liebreich, so tief wissenschaftlich und gelehrt und doch so traulich im Umgang, ein rechter kernhafter, gemüthlicher und witziger Norddeutscher von altem Schrot und Korn; einer der größten wo nicht der größte jetzt lebende Theologe, in seinem Lande die Bischofswürde (im luther. Sinne) tragend ist er so anspruchslos, daß man meinen könnte, er hätte gar kein Bewußtsein von seiner hohen Würde. Diese Demuth auf solcher Geisteshöhe nimmt sich anders aus als die dumme Aufgeblasenheit so mancher Professörchen und junger Schulmeisterchen, die auf Universitäten oder Seminarien etwas Weisheit gerochen haben und nun mit derselben Himmel und Erde stürmen wollen. Er spricht auch sehr gern von der Schweiz, ist ganz begeistert von der Schönheit des Landes und dem gegenüber seinen Landsleuten noch gesunden Sinn des Volkes. Er kennt auch unsere Verhältnisse in politischer, religiöser und anderer Beziehung zehnfachig genau.

Letzte Woche hatte ich viel zu thun; außerdem daß ich im Kränzchen bei Lücke die Reihe hatte, eine Stelle aus dem griechischen N. Test. ins Latein zu übersetzen und lateinisch zu erklären, hatte ich als Theilnehmer des von den Proff. Ehrenfeuchter und Redepenning geleiteten königl. homiletischen Seminars am letzten Samstag in der Universitätskirche hier zu predigen, was zwar um so schwerer war als man das Konzept nicht vor sich haben darf, aber doch Gott Lob gut ablief und wobei ich bei aller Demuth doch gestehen darf, uns Schweizern keine Unehre gemacht zu haben.

Zwei Seiten aus seinem Hausbüchlein in welchem sämtliche Ausgaben des Studienjahres in Göttingen niedergeschrieben sind.
Vater Heinrich Breitenstein an seinen Sohn in Göttingen am 12. Juni 1851

Es will mir fast scheinen, als werde man in Göttingen an ein zu sehr bequemes Leben gewöhnt. Ein Mensch, dem in der Jugend immer nur gedient worden ist, u. bedient, dem wird es später gar schwer, sich davon los zu machen, und nun selbst Hand ans Werk zu legen. Ich glaube nicht, daß Euch, ärmern Studenten, das Selbstreinigen Eurer Kleider u. Schuhe an Euerm Ansehen u. Eurer Ehre großen Abbruch thun würde. Ihr hättet nur beim ersten Mal, da der Stiefelfuchs kam, ihm bedeuten sollen, daß Ihr Schweizer gewohnt seiet, das Ding selbst zu besorgen. Denn nur darin liegt Eure Ehre, wenn Ihr Jederzeit als brave, wißbegierige junge Leute Euch beweiset; die Herren Professoren fragen gewiß nicht darnach, ob der Eine oder Andere heute seine Kleider u. Schuhe selbst gereinigt habe oder nicht. Doch, mein Sohn! Ich will Dich mit diesen Vorwürfen nicht kränken, das ist jetzt einmal meine Ansicht; Du kennst mein Temperament; Du kennst meine Art u. Weise, Du weißt, wie ich gewohnt bin, lieber anderen zu dienen, als mir dienen zu lassen. Wenn sich nun die Sache, wie sie jetzt ist, nicht ändern läßt, so kannst Du in der Beziehung nicht anders thun, als Dich fügen. Meide hingegen jede andere Gelegenheit, die Deinen armen Geldbeutel unnöthiger Weise in Anspruch nehmen könnte.

An die Eltern am 15. Juni 1851

Wenn Ihr wähnet, wir gewöhnten uns hier an bequemes Herrenleben und spielten sogar die Großen, so möchtet Ihr die Sache doch falsch ansehen. Was das letztere betrifft, so dürfen wir in aller Bescheidenheit gestehen, daß wir so einfach anspruchslos und bescheiden so im Hause als im Colleg und in Gesellschaft auftreten als nur ein anderer Student, bei welcher Vergleichung ich nur die Studenten meine, die ebenfalls der Bescheidenheit sich bestreben und von welchen Viele in pekuniärer Beziehung uns gleich stehen, und die Hunderte gar nicht berücksichtigen will, die in kostbare Gesellschaften treten, ausreiten, an Kanonenstiefeln, schönen Cereficmützen Handschuh- und Camaschen ihre Freude haben, deren Zahl noch größer ist, als die, mit denen ich mich allein vergleichen will. Und daß ich mich mit letztern auch nicht so vergleiche, daß ich glaubte, ich müßte Alles haben wie sie, werdet Ihr auch meinem und Grieders gesundem Urtheil glauben. Wir wissen gar wohl, daß wir gegenüber einem Kündig sparen müssen, obwohl er auch meint, bescheiden zu leben, und haben uns so einzurichten gewußt, daß wir wohl kaum die Hälfte brauchen von dem was er und seine Baslergenoßen brauchen, obwohl wir uns im Ganzen in der gleichen Sphäre bewegen wie sie. Die Ausgaben in Beziehung auf Logis, Kost, Wäsche etc. wüßte ich noch nicht zu vermindern, und z. B. unser Mittagessen ist trotz den 5 Plättchen wie oft ziemlich gut, so oft auch erbärmlich schlecht, z. B. gerade heute, was man bei einer Garküche, wo vielleicht für 30–50 gekocht wird, nicht unwahrscheinlich finden wird. Die Ausgabe für die Magd können wir absolut nicht vermeiden, denn sie gehört mit zum Zimmer und wir können doch nicht das Essen selber holen, die Betten des Zimmers etc. selbst rüsten oder in der Küche unser Kaffewasser, oder wenn wir Abends einmal etwas Warmes wollen, es uns selbst bereiten. Was den Fuchs betrifft so will ich Euch Eure Ansicht gerne lassen, von Euerm Standpunkt aus ist sie gewiß richtig; aber da wir’s nicht mehr ändern können, da es verakkordiert ist, ist klar, zumal da ein Drittel des Semesters bereits vorbei ist. Über das, ob wir ihn hätten annehmen sollen oder nicht, will ich nicht weiter streiten, da es unnützer Zeitverlust wäre; Grieder und ich müssen freilich auch nach guter Erwägung bei der Ansicht bleiben, die ich im vorigen Briefe angeführt. Nur das möchte ich Euch bitten, es weder für Stolz noch für Leichtsinn anzusehen, daß wir ihn genommen, oder Ihr müßtet es Stolz und Leichtsinn nennen, wenn in den ersten Augenblicken, wo man in einem fremden Lande angekommen, wo man so vieles zu denken und zu besorgen hat, wo der Geist nach allen Richtungen hin in Anspruch genommen wird, wo dienstfertige Geister wie Vampyren Einen umflattern, man von einer stehenden Sitte des Ortes und Standes, in dem man nun lebt, überrascht wird, der zu widerstehen man kaum Zeit zum Bedenken geschweige zum Handeln hat. Es war kaum Morgen geworden, bestürmte uns im Gasthof schon Mancher, wir wußten nicht, wie er nur erfahren konnte, daß wir da seien, der Eine wollte Stiefelfuchs, der Andere Raseur der dritte wieder Fuchs, der vierte ein Logisgeber etc. sein, wir hatten genug zu thun, sie abzuweisen. Im Hause erschien der Pfeifenhändler, der Obsthändler, die Buchhändler schickten Empfehlungen, Cataloge etc. etc. und wir hatten doch sonst genug zu thun unser Geld wechseln zu lassen, die Matrikel zu beziehen und uns dem Rektor zu stellen, das Logis einzurichten, für’s Essen zu sorgen etc. Doch, liebe Eltern, meine Entschuldigung scheint fast den Schein von Vorwurf anzunehmen, was gewiß nicht der Fall sein soll, und mir leid thut, wenn Ihr’s so ansähet; ich begreife Euch gar wohl, ich weiß, daß Ihr Grund genug zu Warnungen und Mahnungen habt, die Ihr vom frühen Morgen bis in die späte Nacht uns Kindern zu lieb Euch plagen und härmen müßt, und es so aufopfernd und so treulich thut (ich will Euch damit gewiß nicht schmeicheln, es ist meine Ueberzeugung), wie wenig andere Eltern es thun. O, undankbar wäre es, und Fluch müßte mich treffen, wenn ich dieß verkennen und mich darüber wegsetzen, grober Leichtsinn, wenn ich meine Verhältnisse durchaus nicht nach den Euern richten wollte. Wolle der Herr, der in mancher Schwachheit mir schon gnädig aufgeholfen, mir auch das verleihen, Euch dereinst mit besserm Dank zu lohnen als ich jetzt zu thun vermag und jetzt schon mir die Kraft geben, durch meinen Eifer, mein Streben nach dem Guten, durch Bescheidenheit und Tugend Euch zu erfreuen. Er ist meine Stütze, er mein Fels in der öden weiten Welt, der mich nicht versinken läßt, der mich immer aufrecht hält, wenn ich auch strauchle, dieß feste Vertrauen habe ich auf ihn und in diesem Vertrauen tröste ich mich und hoffe, durch den wilden Kampf des Lebens dereinst zu dringen nach seiner Vollkommenheit. Euer Beispiel aber, und die treuen Worte aus Euerm treuen Herzen sind mir ein beständiges Signal, dem zu folgen ich mich stets bestrebe.

An die Eltern am 14. Oktober 1851

Neues weiß ich Euch nicht zu schreiben, als daß ich meinen Stiefelfuchs abgedankt habe, sein Amt selbst zu verrichten und letzte Tage mein Zimmer mit einem kleinern wärmern ausgetauscht habe, das außerdem den Vortheil hat, daß es unmittelbar an das von Grieder stößt. Gänzlich auszuziehen haben wir nicht für rathsam gefunden, obgleich wir in Erfahrung gebracht haben, daß man hie und da noch etwas billigere Zimmer haben kann; denn unsere Hausleute, das wird uns immer klarer, sind von den besten und artigsten, die man in Göttingen finden kann, und was für uns ein großer Vortheil und uns sehr lieb ist, ist daß wir uns hier immer leicht und bequem etwas Warmes können zu Nacht kochen lassen, was uns offenbar billiger kommt und besser ist, als wenn wir wie Andere in die Kneipe laufen müßten. Da man hier ganz anders kocht als bei uns, so habe ich der Magd das Rezept zu einer guten Mehlsuppe gegeben, das sie ziemlich gefaßt und mir des Abends schon ein Paar solcher Dinger gekocht hat.

An seinen Bruder Wilhelm am 30. November 1851

Göttingen ist nicht sehr schön, hat aber hübsche Anlagen und Spaziergänge wie man sie in Basel vergebens suchen würde. Wir Schweizer zusammen leben ganz friedlich miteinander und leben gemüthlich zusammen; es besuchen uns hie und da Schweizerhandwerksbursche, weil sie wissen, daß wir ihnen gewöhnlich einen hübschen Zehrpfennig als Landsleuten geben, wenn sie es nöthig haben. Theile dieß jedoch nicht Jedem mit. – Wir genießen auch alle Achtung bei den Göttinger Bürgern, weil wir allgemein dafür geachtet sind, fixe Zahler zu sein, was nicht von allen Studenten gesagt werden kann.

An die Eltern am 21. Dezember 1851

Für das, was uns während dieser schönen Zeit im trauten Familienkreise abgeht, haben wir jedoch etwelchen Ersatz, indem uns Grieder selbst ein kleines Weihnachtsfest veranstaltet. Er hat nämlich einige arme Mäuschen von Kindern auf der Straße aufgefischt, nach seiner beweglichen Art ihren Namen und ihre Verhältnisse ausgeforscht und rüstet ihnen nun auf Weihnachten einen hübschen Baum aus, wozu wir Jeder nach seinem Vermögen, da er uns darum bat und wir’s ihm nicht ausschlagen durften, einen, wenn auch nur kleinen, Beitrag gaben.

Bisher war es kaltes nasses Wetter, das viele Krankheiten verursachte, heute ist es hart gefroren. Ihr habt wohl schon Eure Schweine geschlachtet? Grubes haben dieß schon vor einiger Zeit gethan und uns auch von ihren Würsten gegeben. Das ist aber eine ganz andere Metzgerei als bei uns. Schon des Morgens um 4 Uhr wurden die Schweine gestochen, und bis in die Nacht hinein wurde gehackt und gewurstet, wozu fast das halbe Schwein herhalten mußte. Von den hiesigen Würsten dürft Ihr Euch aber keine große Vorstellung machen; wir waren froh, als sie verzehrt waren. Nur die Bratwürste sind ungefähr gemacht wie bei uns, die Rothwürste, Leberwürste und Weißwürste aber ganz anders, und können nur kalt gegessen werden. Die Würste dienen hier, wie bei uns der Speck und Schinken fürs ganze Jahr, und werden als Zukost zum Frühstück (z’Nüni) gegessen. Der ausgelassene Schmalz wird wie bei uns die Butter aufs Brot gestrichen und des Abends als Delikatesse gegessen. – Wir leben ganz einfach und lassen uns, wenn es möglich ist, hie und da gekochte oder gebratene Kartoffeln des Nachts zu unserm Kaffe oder Thee bringen.

An Theresia Tschopp am 1. Februar 1852

Das Neujahr wie überhaupt die Festzeit gieng ziemlich prosaisch d.h. trocken vorüber und ich war dabei gar nicht im Strumpf, allein am Sylvesterabend unterhielten wir uns recht artig bei einigen Flaschen Wein, den ein paar hochherzige Freunde springen ließen. Um 12 Uhr, wo man dem alten Jahr gute Nacht sagte, giengen wir auf den Markt; dort hatte sich die Studentenschaft rings um den Springbrunnen herum versammelt und sang das gaudeamus igitur, juvenes dum sumus etc., das alte gute Studentenlied; Einige hatten aber gar rauhe Hälse, ob vom glatten Bier oder der kalten Luft will ich hier nicht entscheiden. Nachher prügelte man sich zum guten Anfang mit den Schmiedegesellen und andern Philistern; ich war aber nicht dabei, sondern schlich zwischen die Federn und schnarchte wie ein Murmelthier. Seither ist nichts Wichtiges vorgefallen, als daß ich einmal gepredigt und ein paar Mal gekegelt habe; damit Einem der Leib nicht starr werde, muß man hie und da solche Uebungen unternehmen; die hiesigen Collegienbänke sind gar entsetzlich hart und ist übelzitig darauf zu sitzen; die Professoren sind aber gut und gar gelehrte Leute. Ich bin heute und seit einigen Tagen nicht in der besten Laune; wenn Du’s etwa dem Briefe ansiehst, so nimm es mir nicht übel, da es ja Dir nicht gilt. Unser Hausmädchen, das sich bisher recht sittsam und brav gehalten hatte, setzte den Störrkopf auf, weil wir sie durch einige Bemerkungen, die nur im Spaße gemeint waren, geärgert hatten. Sie ließ uns beim Theewasser sitzen und brachte uns so recht nach Art weibischer Bosheit, das Essen dazu nicht; wir ließen sie gehen und wußten uns sonst zu helfen, und als wir es ihr nachher bemerkten, gab sie uns tüchtig zurück. – Ihr zum Trotz heizte ich mir gestern selbst ein, was sie gewaltig ärgerte. War ich sonst nicht gut aufgelegt, so war ich natürlich so auch gar nicht zufrieden. Das kann sie nicht leiden und briegget inzwischen, und wenn man ihr wieder Frieden anbieten will, so hat sie doch ihr volles Recht und hängt Einem ein Maul an, wie es vor einer halben Stunde geschah, da ich sie zur Rede stellen wollte –, ah bah – mit dem Weibervolk kann ja Niemand fertig werden, sie soll machen was sie will, aber uns unter dem Daumen halten zu wollen, soll ihr nicht einfallen. – Ich bin überhaupt hier sehr böse geworden; wenn ich zurückkomme, mußt Du mich wieder in die Kur nehmen, ich denke es wird schon gehen, die Krankheit ist nicht so bedenklich.

Links

Stadtmuseum Göttingen: https://museum.goettingen.de/

Stadtarchiv Göttingen: www.stadtarchiv.goettingen.de